Oderbruch will offiziell Europäisches Kulturerbe werden

Zum ersten Mal bewirbt sich eine ganze Region auf das Europäische Kulturerbe-Siegel. In Brüssel fällt in wenigen Wochen die Entscheidung 

Mehr als fünf Jahre Arbeit stecken in dem Vorhaben, für das Oderbruch im Osten der Republik einen Status „Europäisches Kulturerbe“ zu erlangen. Koordinator Tobias Hartmann häufte dafür viele Tausend Kilometer Fahrtweg an. Denn für das Vorhaben musste er kreuz und quer durch die dünn besiedelte Landschaft fahren und Überzeugungsarbeit leisten. „Wir wussten ja um das reichhaltige kulturelle Erbe hier, aber die Orte, die Ehrenamtlichen und Engagierten, welche dieses Erbe pflegten, sollten ein Netzwerk bilden,“ erzählt der Regionalmanager von den Anfängen. „Als der Letschiner Bürgermeister Michael Böttcher 2015 mit der Idee einer Bewerbung auf das Europäische-Siegel auf uns zu kam, waren wir begeistert.“ Mit der Ausweisung von Kirchen, Heimatstuben, Schöpfwerken oder Denkmalen als Kulturerbe-Orte wuchs schnell ein Netzwerk, das sich nicht nur touristisch gemeinsam und besser präsentieren kann, sondern dessen Partner auch zu regelmäßigen Treffen zusammenkommen und gemeinsame Projekte durchführen. Aber nicht nur einzelne Orte werden so profiliert, die Initiative möchte die ganze historisch gewachsene Agrarlandschaft in den Blick rücken und als wichtiges kulturelles Erbe verstanden wissen. Das Oderbruch, wie wir es heute erleben können, verdankt sich nämlich dem avanciertesten ingenieurtechnischen Wissen Europas im 18. Jahrhundert. Es steht für eine Naturaneignung in großem Maßstab, dessen Wassersystem über zehn Generationen hinweg stetig optimiert wurde – über Kriege, Katstrophen und Systembrüche hinweg. Durch die Einwanderung aus vielen Teilen Europas ist das Oderbruch heute ein besonders vielfältiger ländlicher Raum. Seine Siedlungsgeschichte hat sich in einer außergewöhnlich hohen Dichte an Baudenkmalen niedergeschlagen und ist in Form von Fischerdörfern, Kolonistendörfern und Loose-Gehöften bis heute für Besucher sehr gut ablesbar. 

Vor fast genau einem Jahr wurde das Oderbruch nun von der deutschen Kulturministerkonferenz bei der Europäischen Union für das Siegel nominiert. „Wir sind eines von zwei Projekten, welches die Bundesregierung in Brüssel vorgeschlagen hat,“ erklärt Tobias Hartmann. „Ein weiteres kommt aus Fulda und Petersberg und beschäftigt sich mit dem Entstehen des europäischen Bildungsgedanken in der karolingischen Zeit.“ 

Unter dem Titel „Menschen machen Landschaft“ ging die Bewerbung aus dem Oderbruch also nach Brüssel und beschreibt nicht nur das kulturelle Erbe der Vergangenheit, sondern auch die Zukunftsorientierung der Initiative. „Das Kulturerbe-Netzwerk hat die einzelnen Orte gestärkt und für mehr Mitsprache gesorgt.“ Diese Zusammenarbeit trägt bereits jetzt erste Früchte. Denn neben einer gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit, wie in der Broschüre Schau ins Bruch, werden auch Partnerprojekte initiiert, die jedes Jahr unter einem neuen Jahresthema veranstaltet werden. Nur durch die interkommunale Zusammenarbeit der 24 Oderbruchkommunen und den beiden Landkreisen Märkisch-Oderland und Barnim kann die Initiative heute finanziert werden. 
Ein gerade veröffentlichter Trailer unterstützt die Bewerbung und soll auch die Bewohner des Oderbruchs noch einmal einschwören. Zu sehen sind engagierte Menschen der nunmehr 36 Kulturerbe-Orte, weite Felder und einer der größten Erfolge des Kulturerbe-Projekts bisher: Kinder, die sich mit großem Interesse mit ihrer Region beschäftigen. Tobias Hartmann: „Wir haben bereits enge Partnerschaften mit Schulen, Jugendclubs und Vereinen geschlossen und organisieren regelmäßige Exkursionen und Workshops, in denen sich die Kinder und Jugendlichen mit dem Oderbruch auseinandersetzen. Das Netzwerk lebt und atmet.“ 

Eine Entscheidung aus Brüssel steht kurz bevor und soll spätestens Anfang des kommenden Jahres öffentlich gemacht werden. Wenn die Jury sich überzeugen lässt, wäre das Oderbruch anerkannt und ausgezeichnet und könnte sich weit über die Landesgrenzen hinaus als das präsentieren, was es ist: als kulturelles Erbe Europas. 

Hintergrund: 
Das Europäische Kulturerbe-Siegel ist eine europäische Initiative, mit der seit 2013 Kulturerbe-Stätten ausgezeichnet werden, die die europäische Einigung sowie die Ideale und die Geschichte der EU in besonderer Weise symbolisieren und verdeutlichen. Neben der KZ-Gedenkstätte Natzweiler und den Leipziger Musikstätten tragen in Deutschland unter anderem die Rathäuser von Osnabrück und Münster sowie das Hambacher Schloss das Europäische Kulturerbe-Siegel. Die Bewerbung unterliegt einem zweistufigen Bewerbungsverfahren. In der ersten Stufe entscheidet die Kulturministerkonferenz darüber, welche Bewerbung an die europäische Jury weitergegeben wird. In dieser Stufe darf jeder Mitgliedsstaat nur zwei Stätten vorschlagen. In der zweiten Bewerbungsrunde, entscheidet die europäische Jury über die Vergabe. Das Kulturerbe-Siegel wird durch die Europäische Kommission verliehen.