Glauben und Macht im Oderbruch

Antje Scholz

Ein Recherche- und Ausstellungsprojekt zum Jahresthema KIRCHE 2024 am Oderbruchmuseum, Eröffnung am 1. Juni 2024 um 11 Uhr

Jahresthemen am Oderbruchmuseum gehen davon aus, dass die handelnden Menschen in der Landschaft Spuren und Wirkungen hinterlassen. So gingen wir auch an das Jahresthema KIRCHE heran, an die Befragungen und Projekte. Wir wollten herausfinden, ob und wo es einen Unterschied macht, dass es Christen in der Gesellschaft des Oderbruchs gibt.

Dass Religion einen Einfluss auf die Gesellschaft hat, ist unbestritten. Zugleich weisen die transzendenten Bezüge des Glaubens auf Erfahrungen, Quellen und Fluchtpunkte, die das politisch geordnete Leben der Gesellschaft überschreiten. Daraus ergibt sich ein Spannungsfeld. Wäre die Religion irrelevant, staatliche Gewalten würden sich nicht darum bemühen, sie entweder in Dienst zu nehmen oder in ihrer Reichweite zu beschränken.

Es gibt – vereinfacht gesagt – zwei Lesarten von der Funktion oder dem Anspruch einer Kirche.

Die machtpolitische Lesart versteht die Kirche als eine Institution der Herrschaft. Man begreift in diesem Falle die Religionen als kulturelle Formen der Verunklarung und Schwächung des diesseitigen Lebensimpulses der Menschen („Opium für das Volk“). Man folgert, dass mit der Institutionalisierung von Religion die individuellen Impulse des Glaubens in die herrschenden Machtsysteme eingeordnet werden. Diese Lesart ist nicht pauschal von der Hand zu weisen. Immer wieder haben Religionen, und gerade die christlichen Kirchen, eine staatstragende, disziplinierende und affirmative Rolle gespielt. Deshalb ist das Thema auch für Christen prekär und schmerzhaft.

Recherchiert man zur Kirchengeschichte des Oderbruchs zeigt sich aber auch – und fast noch deutlicher – die alternative Lesart: Die Kirche erscheint geradezu als „Stachel“ in der weltlichen Macht. Dieses Verständnis geht davon aus, dass im Evangelium Prinzipien des Lebens formuliert sind, die den Gläubigen die Möglichkeit geben, den Zumutungen der weltlichen Herrschaft zu widerstehen. Die Aufgabe der Kirche wäre es demnach, etwas in der Welt geltend zu machen: Der gelebte christliche Glaube kann in dieser Perspektive die Freiheit schaffen, alle anderen Glaubensakte zu verweigern, also auch die Ansprüche an den Einzelnen durch Herrschaft, Geld oder Ideologie abzulehnen. Dieses Potenzial hat Auswirkungen auf das politische Denken der Christen. Das Reich Gottes ist zwar nicht von dieser Welt, aber der von ihm ausgehende „Friede“ ist ein radikales Moment des Widerstands gegen jede Gewalt, die sich die weltlichen Mächte über das Leben anmaßen.

Im christlichen Glauben bildet das Verhältnis zur weltlichen Macht deshalb einen immer wieder spürbaren Grund der Selbstreflexion und der innerkirchlichen Auseinandersetzung. Er reicht von der Geschichte Jesu über die mittelalterliche Kirche und die Reformation bis in die schwerwiegenden Erfahrungen mit Kriegen und Diktaturen im 20. Jahrhundert, und schließlich auch in die Gegenwart.

Das Oderbruch hat durch seine Kolonisierung im 18. Jahrhundert eine besondere historische Resonanz in Glaubensfragen entwickelt. Viele Kolonisten kamen hierher, um die versprochene Religionsfreiheit zu genießen. Sie wurden zunächst nach Konfessionen getrennt in Kolonistendörfern angesiedelt. Im 19. Jahrhundert griff die preußische Krone stärker in die weitgehend selbstverwalteten Glaubensgemeinschaften ein, und im 20. Jahrhundert lebte man als Christ auch im Oderbruch nicht selten gefährlich.

Mit diesem Ausstellungs- und Rechercheprojekt wurde eine kleine Spurensuche zum Verhältnis von Glauben und Macht im Oderbruch unternommen, die sich durch die preußische Geschichte, die Zeit des Nationalsozialismus und der DDR bis in die Gegenwart zieht. Das sich dadurch ergebende Bild kann keine systematische Geltung beanspruchen, und es soll auch keine abschließenden Urteile über die Zeiten und Menschen fällen. Vielmehr geht es darum, anhand von einzelnen Beispielen ins Gespräch zu kommen und damit zu einer Neubestimmung der Rolle von Christen in den ländlichen Gemeinschaften beizutragen.

Idee und Konzeption: Dr. Kenneth Anders

Recherche:

–           Preußen: Detlef Mallwitz und Kenneth Anders
–           NS-Zeit: Arno Leye
–           DDR-Zeit: Kenneth Anders, Arno Leye und Friedrich Hanke
–           Gegenwart: Kenneth Anders, Lars Fischer und Arno Leye

Unter Nutzung der Schulchronik Wuschewier, des Archivs der evangelischen Kirchgemeinde Neutrebbin, der Pfarrbriefe aus dem Kirchenknopf zu Neutornow, der Aufzeichnungen des Superintendenten Siegfried Behrend, des Buchs „Bei Ihnen gehen die Leute ja noch zur Kirche!“ von Arno Leyer und eines Berichts von Erdmute Rudolf über das Jahr 1997.

Ausstellungsgestaltung: Antje Scholz unter Mitwirkung von Doro Rüdrich, Lia Friedrich und Jürgen Neumann