Fotografien von Holger Herschel, ab 07. September im Bildersalon
Die kurz vor der Oder an der deutsch-polnischen Grenze gelegene vierstufige Schleusentreppe Niederfinow ist das älteste Schleusenbauwerk im Oder-Havel-Kanal. Die Treppe war von 1912 bis 1972 in Betrieb. Mehr als fünfzig Jahre ist es her, dass das letzte Schiff die 35 Meter Höhenunterschied vom Oder-Havel-Kanal in die Alte Oder überwand. Ab 1934 wurde parallel zur Treppe das Schiffshebewerk Niederfinow genutzt, das in den letzten Jahren durch das daneben neu erbaute Schiffshebewerk Niederfinow Nord ersetzt wurde. Für diesen Neubau wurde die alte Schleusentreppe teilweise abgerissen.
Die analogen Schwarzweiß-Fotografien von Holger Herschel entstanden vor mehr als zwanzig Jahren und schlummerten bis dato als Negative im Archiv des Fotografen. Damals ruhte der Betrieb der Schleusentreppe bereits seit dreißig Jahren. Der Mensch hatte den Ort verlassen, und die Natur eroberte sich über die Jahre den Raum zurück, wuchs sich in das Bauwerk ein. Üppiges Blattwerk, dichter Mischwald, sich im Wasser widerspiegelnd, umringt die hohen Betonstufen der Schleusentreppe, und selbst darauf haben sich Moose und Sträucher angesiedelt.
In seinen Aufnahmen setzt Holger Herschel Natur und Beton in Szene. Pflanzen umrahmen wie in einem Theatertableau das alte Bauwerk. Und gleichzeitig inszeniert er die Architektur der verlassenen Schleusentreppe in der Natur, so als bedingten sie sich gegenseitig. Er sucht verschiedene Blickwinkel, steigt hinauf und hinab ins Detail der Anlage, auf der Suche nach Überresten. Er spielt mit dem Tageslicht und kontrastiert die organischen Formen der Vegetation mit den glatten Oberflächen des von Menschenhand errichteten Bauwerks, lässt beide miteinander verschmelzen zu einer kraftvollen und harmonischen Einheit.
Bald wird es die Anlage und den umliegenden Wald nicht mehr geben. Der ewige Zyklus von Entstehen und Vergehen macht auch vor der alten Kulturlandschaft am Oder-Havel-Kanal in Niederfinow nicht halt. Die alte Technik hat wieder einmal ausgedient und muss neuen, modernen Anlagen weichen, die heutigen Standards entsprechen. Was bleibt, sind die Fotografien als künstlerische Hommage an eine vergangene Zeit.
Die Ausstellung im Bildersalon des Oderbruchmuseums wird am Samstag, dem 7. September gegen 16.00 Uhr eröffnet.
Parallel zur Ausstellung LEERSTAND ist im Studiolo die Präsentation LEERGUT von Holger Herschel zu sehen: Fotografien von alten Flaschen und Konservengläsern, die sich auf einem Bauernhof im Oderbruch fanden.
Die DDR war keine Wegwerfgesellschaft. In SERO-Annahmestellen wurden „sekundäre Rohstoffe“ wie geschnürte Zeitungen und geleerte Weinflaschen entgegengenommen.
Die für LEERGUT fotografierten Flaschen und Konservengläser stammen von einem Bauernhof im Oderbruch. Zusammengetragen Anfang 1990, lagerten sie abgabebereit in Weidenkörben und wurden vergessen. Als sie nach mehr als 20 Jahren wiederentdeckt wurden, waren sie keinen Pfennig mehr wert, aber dafür auf ganz andere Weise wertvoll geworden. Aus dem verstaubten Leergut ist unverhofft ein Zeitdokument geworden. Die Überbleibsel des Alltags – vom Babysaft über Tomatenketchup bis zur Goldbrand-Flasche – zeigen neben Trink- und Essgewohnheiten einer Familie in den letzten Jahren der DDR das Design einer vergangenen Epoche.
Der Fotograf
Holger Herschel, geboren 1959 in Berlin, studierte 1980–1985 Soziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Von 1985 bis 1987 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Bauakademie der DDR und von 1988 bis 1991 Fotolaborant und Fotograf am Maxim Gorki Theater Berlin. Seit 1992 ist freiberuflich als Fotograf tätig, vorwiegend in den Bereichen Denkmalpflege, Architektur und Porträt. Er lebt in Berlin und im Oderbruch.