Am 13. Juni konnte die „Kommunale Arbeitsgemeinschaft Kulturerbe Oderbruch“ in Brüssel bei einer Preisverleihung ihre Auszeichnung als Europäisches Kulturerbe entgegennehmen. Mit dabei waren Brandenburgs Kulturministerin Dr. Manja Schüle und der Landrat des Landkreises Märkisch-Oderland Gernot Schmidt.
Einige Tage darauf hatten wir zum Jahresempfang des Landkreises die Gelegenheit, die Besonderheiten unserer Bewerbung noch einmal in der eigenen Region vorzustellen. Hier geben wir die Rede von Kenneth Anders wieder, der die Bewerbung in neun knappen Thesen erläuterte und den Abgeordneten seinen Dank für die Unterstützung aussprach.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
viel ist in den letzten Wochen und Monaten davon die Rede gewesen – das Oderbruch wurde als Europäisches Kulturerbe anerkannt. Am vergangenen Montag waren wir in Brüssel, um diese Auszeichnung abzuholen. Ich möchte Ihnen in neun kurzen Thesen vorstellen, was es damit auf sich hat und was vielleicht das Besondere unserer Initiative und Bewerbung ist.
Erstens: Diese Initiative geht in erster Linie von den Dörfern aus, und sie wird von einer kommunalen Arbeitsgemeinschaft getragen, in der alle Oderbruchkommunen Mitglied sind. Daran sind zwei Dinge ungewöhnlich: Zum einen kommt es sehr selten vor, dass sich Kommunen zusammenschließen, um Regionalentwicklung im Medium der Kultur zu betreiben. Es gibt zwar kommunale Zweckverbände für Kultureinrichtungen, aber uns ist kein zweiter Fall in Deutschland bekannt, in dem Kommunen miteinander in einen offenen kulturellen Entwicklungsprozess treten. Es ist auch nicht eben üblich, dass sich Städte einer dörflichen Initiative anschließen und sie mit ihren besseren Möglichkeiten unterstützen, in der Regel ist es umgekehrt. Für diese Bereitschaft zu einer neuartigen Kooperation sollte man beiden Seiten Anerkennung zollen.
Zweitens: Die Kommunale Arbeitsgemeinschaft Kulturerbe Oderbruch ist keine Beutegemeinschaft zur schnellen Einwerbung von Fördermitteln. Sie ist, im Gegenteil, zunächst eine Zahlgemeinschaft. Alle müssen etwas geben, damit die Sache ins Rollen kommt. Aus dieser Selbstverantwortung erwächst gerade die Lebensfähigkeit des Unterfangens. Natürlich werben wir Drittmittel ein und werden dies in Zukunft sogar verstärkt tun. Aber das ist nicht das Entscheidende. Entscheidend ist, dass die Region etwas für sich selbst tut.
Drittens: Die Idee, die der Kulturerbe-Initiative zugrunde liegt, ist die einer regionalen Selbstbeschreibung. Das ist erst einmal keine touristische Strategie. Bevor wir für mehr Besucher werben, mussten wir erst selbst miteinander ins Gespräch kommen. Welche Geschichte und welche menschliche Arbeit prägen diese Landschaft? Welche Konflikte und Widersprüche machen sie aus? Wo liegt ihre Schönheit, und wo liegt ihr Schmerz und ihre Verwundbarkeit? Es gibt nur wenige Kulturprojekte, in denen diese Themen als gemeinsam immer wieder neu zu beantwortende Fragen behandelt werden. Sinn der Kulturerbe-Initiative ist es nicht, die Menschen zu belehren. Der Sinn ist es, miteinander sozusagen Musik zu machen – eine Musik, die in der eigenen Erfahrung wurzelt. Melodie und Rhythmus dieser Musik gehen von jenen aus, die bereits etwas in der Landschaft tun und ihr Wissen einbringen. Das hilft dann auch den neu Hinzuziehenden, ihre Rolle zu finden und mitzuspielen.
Viertens: Um uns den Eigenheiten und dem Wert der Landschaft zu nähern, haben wir bereits 40 Kulturerbe-Orte von Oderberg bis Lebus, von Freienwalde bis Seelow, bald auch in Polen gefunden. Es sind Museen, Denkmale, Kolonisten- und Fischerdörfer, Kirchen, Parks, Schöpfwerke, sogar Baumalleen. Für jeden dieser Orte stehen Menschen ein. Wenn das Kulturerbe eine Musik ist, dann sind die Kulturerbe-Orte die Instrumente, und die Menschen an diesen Orten bilden das Orchester. Eine Landschaft ist kein einfaches Stück Musik. Sie hat ja nicht nur hübsches Fachwerk und Backstein, sie hat auch Wellasbest, Umgehungsstraßen und Gewerbegebiete. Man braucht also ein gutes Arrangement, um einen schönen Klang zu erzeugen.
Fünftens: Das Europäische Kulturerbe-Siegel verlangt auch ein Projekt, in dem beschrieben wird, was mit dem Erbe angestellt wird. Dieses Projekt umfasst Bildung, was in unserem Falle heißt, jungen Menschen Möglichkeiten zu bieten, sich die Landschaft auf ihre Weise anzueignen. Es besteht zudem aus Öffentlichkeitsarbeit, Forschung, dem Austausch mit anderen Erbe-Stätten, und nicht zuletzt aus der Begegnung mit den Besuchern. Eine Besonderheit unseres Projekts ist sicher, dass auch diese Arbeit zu großen Teilen von den Bewohnern selbst geleistet wird und die wenigen Professionellen eher eine koordinierende Rolle spielen. Das passt auch zu unseren oftmals vor- oder nur halbprofessionellen touristischen Standards. Man kann über deren Unzulänglichkeiten klagen, aber das Leben im Bruch ist nun einmal so: Hier die Erwerbsarbeit, dort die Mitwirkung im Gemeinderat, hier das Brennholz oder der eigene Honig, dort die freiwillige Feuerwehr, hier die Hühner im Garten und dort nun eben Besucher von sonstewo auf ihrer Oderbruch-Erkundungstour. Was daraus entstehen kann, das ist Sache der gemeinsamen Entwicklung.
Sechstens: Menschen machen Landschaft! In den gegenwärtigen Umweltdebatten wachsen die Zweifel am menschlichen Handeln in der Natur. Vor allem in den Ballungsräumen ist man unsicher, ob wir Menschen uns die Natur überhaupt aneignen dürfen – und das Oderbruch ist ein besonders krasser Fall von Naturaneignung. Die damit verbundenen Konflikte, Gefahren und auch Verluste sind real, und sie dürfen in der Selbstbeschreibung nicht fehlen. Aber dennoch nehmen wir diese Geschichte der preußischen Melioration und Kolonisierung mit Zuversicht als unser Erbe an. Der Drainspaten, der zum Zeichen des Oderbruch-Kulturerbes geworden ist, steht für die menschliche Arbeit und die kühne Schaffung eines Siedlungs- und Landwirtschaftsraumes. Dieses Selbstvertrauen ist inzwischen auch eine Seltenheit, und es hat eine politische Dimension.
Siebentens: Wir haben in der Bewerbung einige wenige prägnante Aussagen getroffen: Da ist zunächst unser beispielhaftes Wassersystem, das wie eine riesige Landschaftsmaschine aus hunderten interagierenden technischen Elementen besteht. Der Witz liegt nicht nur in dieser technischen Leistung, sondern in ihrer stetigen Weiterentwicklung und Verbesserung über mehr als 10 Generationen, über 270 Jahre, über Kriege und Katastrophen hinweg. Diese Kontinuität war nur möglich durch eine Dialektik zwischen staatlichem und bürgerschaftlichem Handeln. Die Oderbrücher sind unbequem. Sie haben als freie Bauern hier gesiedelt, und sie ringen immer wieder mit ihren Regierungen um das, was man landschaftliche Vernunft nennen könnte. Bis heute bilden sie eine vitale ländliche Gesellschaft, die neue Menschen aufnehmen und sich selbst gut verwalten kann. Und alles, was diese Menschen bis heute getan haben, liegt in den Siedlungsstrukturen und Baudenkmalen vor uns, gut lesbar wie in einem offenen Buch.
Achtens: Die Sprache, mit der wir die Sache angehen, geht von den Menschen aus. Es sind die ausgesprochenen persönlichen Gedanken und Erfahrungen, aus denen das gemeinsame Panorama der Kulturerbe-Landschaft entsteht. Lesen Sie es in den Werkstattbüchern zu den Jahresthemen oder an den Wänden der Ausstellungen in Altranft, und staunen Sie mit uns über die Klugheit, den Witz und die geistige Kraft der Menschen, die hier leben und arbeiten. Gegenwärtig schaffen bekenntnishafte Sprachformeln und omnipräsenten Großdiskurse eine Kultur des Nachplapperns. Wo aber die Sprache eine Hülle wird, verlieren wir die Kontrolle über unser Denken. Aus der Mitwirkung an der Gesellschaft wird das Sich-Einordnen in Kampagnen. Ich finde diese Entwicklung besorgniserregend. Im Kulturerbe Oderbruch vertrauen wir darauf, dass die Menschen selbst etwas wissen und dass sie es in ihren eigenen Worten am besten ausdrücken können.
Neuntens: In dieser Initiative steckt auch eine soziale Interaktion, eine Form des Umgangs miteinander: Niemand hält sich für etwas Besseres. Dass wir mit unserem Ansatz bis nach Brüssel gekommen sind, dafür musste Vieles zusammenkommen, übrigens auch die Unterstützung auf Landes- und Bundesebene. Am wichtigsten scheint mir aber der Mut von Kommunalpolitikern und Kulturakteuren, einander zu vertrauen und miteinander eine Arbeitsebene aufzubauen, oft gegen Widerstände, auch gegen Misstrauen und Unverständnis von verschiedenen Seiten. Dass alle etwas zum Gelingen von Gesellschaft beitragen können, das habe ich selbst in der Arbeit an diesem Projekt – die bisher, je nach Zählweise zwanzig oder sieben Jahre gedauert hat – dankbar erfahren können.
Ich möchte allen danken, die diesen Weg begleitet, gegangen und ermöglicht haben. Auch den Abgeordneten des Landkreises, die nicht im Oderbruch leben und die uns eine Chance gegeben haben, uns zu entwickeln. Und auch den Skeptikern, die letztlich gesagt haben: Na, warten wir es ab. Und natürlich den Protagonisten, die ihre Haut dafür zu Markte getragen haben und dafür eingestanden sind. Die Erleichterung, dass es schließlich auch geklappt hat, stand allen auf der Stirn geschrieben.
Dieses Projekt wird auch in Zukunft viel Arbeit machen, aber es zeigt: Wenn wir eine egalitäre Haltung mit dem Respekt vor der Leistung des anderen verbinden, dann kann das Landleben gelingen. In einer Zeit, in der immer mehr Menschen in Ballungsräumen leben wollen, ist das wahrscheinlich auch für andere ländliche Gegenden ein gutes Signal.
Vielleicht, wir werden es sehen, ist das Landleben doch ein Zukunftsmodell.