Hans-Peter Trömel, Wasserbauingenieur im Ruhestand
Hans-Peter Trömel (1941-2024) ist am 11. Januar gestorben. Schon in den ersten Bemühungen um einen kulturlandschaftlichen Diskurs im Oderbruch hat er uns unterstützt, 2004 gab er für den Oderbruchpavillon Einblicke in seine Arbeit: https://archiv.oderbruchmuseum.de/troemel/.
13 Jahre später befragten wir ihn erneut im Rahmen des Jahresthemas WASSER. Anstelle eines Nachrufs veröffentlichen wir hier den Text, der 2017 im Werkstattbuch des Museums erschienen ist.
Ich bin gebürtiger Sachse. Von 1959 bis 1961 hab ich in Freienwalde den Beruf des Wasserbauers mit Schwerpunkt auf dem landwirtschaftlichen Wasserbau gelernt, dann in Magdeburg und Dresden studiert und einige Zeit in der Wasserwirtschaftsdirektion Obere Elbe-Mulde gearbeitet. Meine Frau ist gebürtige Freienwalderin und als sich die Gelegenheit ergab für den Flussbereich Bad Freienwalde der Wasserwirtschaftsdirektion in Cottbus die Gewässeraufsicht zu übernehmen, wurden wir Ende der 1960er hier her sesshaft.
Bad Freienwalde war damals ein Schwerpunkt der Wasserwirtschaft. Das Deichhaus in der Goethestraße, wo die Wasserwirtschaftsverwaltung bis heute untergebracht ist, war der Sitz der Deichverbände des Oderbruchs und das VEB Meliorationskombinat Gewässer und Melioration (GuM) war ein wichtiger Arbeitgeber in der Stadt. Nach der Wende wurde der Flussbereich Bad Freienwalde umgewandelt in eine Nebenstelle des in Potsdam ansässigen Landesumweltamtes Brandenburg, die ich bis 2006 als Bereichsingenieur geleitet habe. Dass wir es damals in der Wendezeit geschafft haben, viele der 80 Mitarbeiter vor allem in den Meisterbereichen in Hohenwutzen und Groß Neuendorf zum wieder gegründeten Gewässer und Deichverband Oderbruch (GEDO) nach Seelow umzusetzen, war wichtig. So gingen die Gebietskenntnisse und das Wissen für die Wasserwirtschaft nicht verloren und die praktische Arbeit konnte weitergehen.
Diese Geschichte habe ich detailliert aufgearbeitet. Seit 1977 veröffentliche ich Beiträge im Bad Freienwalder Heimatkalender und anderswo zu den wasserwirtschaftlichen Verhältnissen hier an der Oder, zur Geschichte des Deichverbandes und zu Daten und Fakten der Trockenlegung des Oderbruchs, zu den Hochwasserereignissen. Es gibt sehr viel zu beschreiben und zu erzählen über diese besondere Landschaft. Die letzten Beträge behandeln die Hochwassermarken im Oderbruch. Wir haben ja nicht sehr viele: in Wriezen haben wir zwei, eine in der Nähe des Bahnhofs und eine an den Kalköfen am alten Hafengelände, in Bad Freienwalde an der Post und in Hohensaaten mitten im Ort, das war es fast schon. Die älteste Marke, die ich entdecken konnte, ist aus dem Jahr 1838. In der Kirche in Alt Mädewitz ist ein Pfeil angezeichnet, wie hoch damals das Wasser stand. 1836 wurde die Kirche eingeweiht und 1838 ist sie unter Wasser gegangen. Und wir haben das Denkmal zum Hochwasser 1947 in Neutrebbin am Pappelweg, wo die Straße zum Bahnhof abzweigt. Dort ist die tiefste Stelle und das Haus, das hier stand, wurde weggespült, komplett zerstört durch Balken, die angeschwemmt wurden und die Mauern eindrückten. Engagierte Neutrebbiner haben das Denkmal 2009 geplant und gebaut, zwei Steinsäulen mit einem Balken dazwischen in der Höhe, wo das Wasser stand 47. Ein mannshohes Denkmal.
Die Wasserwirtschaft erfordert viel Einfühlungsvermögen in die Landschaft. Ohne Wasserwirtschaft kann hier niemand leben und wirtschaften. Als Wasserwirtschaftler muss man sich nicht nur die wasserwirtschaftlichen Aufgaben erarbeiten, sondern auch die Historie und die Geologie. Das Oderbruch ist von diesen Aufgaben her ein sehr interessantes Gebiet, das mich sofort gefesselt hat. Hans Ohnesorge, der Gründer und damalige Leiter des Oderlandmuseums, hat mich eingeführt in diese Themen – von ihm hab ich auch den geologischen Lehrpfad in Altranft übernommen und mich 30 Jahre um ihn gekümmert.
Das Wichtigste in meiner Arbeit als verantwortlicher Bereichsingenieur war, dass wir keinen Deichbruch mehr hatten nach 1947. Es wird ja immer darauf hingewiesen, dass nach dem Krieg 1945 viele Schäden an den Deichanlagen bestanden hätten und mit eine Ursache für den Deichbruch bei Reitwein gewesen seien. Dem muss man energisch widersprechen. Der Deichverband hat bereits im Juli 45 die Arbeit wieder aufgenommen, weil man genau wusste, wenn wir nichts machen an den wasserwirtschaftlichen Anlagen, den Schöpfwerken und Wehren, den Deichen, dann gehen wir hier unter Wasser. Es gab sogar einen Befehl der sowjetischen Militäradministration, der alle greifbaren Männer zur Mitarbeit im Deichverband zwangsverpflichtete. Über 300 Leute hatte der Verband damals, die die Deiche bis Ende 45 wieder in so weit in Ordnung gebracht haben, dass sie ein Hochwasser wehren konnten. Das muss man wissen. Die permanente Deichpflege ist wichtig, darauf haben ich und meine Kollegen immer großen Wert gelegt. So ein Eishochwasser wie 1947 kann jedes Jahr wieder kommen.
Heute wissen wir, dass der Deichkörper sehr homogen sein muss. Es gibt eine bundesweite Norm für Flussdeiche, die DIN 19712. Die sieht den Aufbau eines Drei-Zonen-Deiches vor. Die erste Zone ist der bindige Boden, der an der Wasserseite aufgebaut wird, um das Sickerwasser zu bremsen. Das Sickerwasser soll am Deichfuß austreten und nicht in der Mitte, wie es 1997 passiert war. Also erst kommt die Dichtung, eine dichte Außenhaut oder ein Dichtungskern in der Mitte. Dann kommt der Deichkörper, der das Gewicht gegen den Wasserdruck bringt. Das sind Sande und Kiese. Und auf der Landseite kommt eine Filteranlage, damit kein Sand ausgespült wird, wenn Wasser durch den Deichkörper dringt. Der Filter reicht von grob, mittel bis fein und ist aus Kiesen aufgebaut. Da steht also nicht einfach nur ein Erdkörper, da gehört schon ein bisschen mehr dazu. Zu Deichbrüchen kam es meist dann, wenn die Berechnungsgrundlagen nicht eingehalten wurden.
Auch der Deichbau im Oderbruch hat seine Geschichte. Die Deichbauten im Ober-Oderbruch wurden zunächst Mal um die einzelnen Ortschaften angelegt. 1717 wurde der erste durchgehende Deich von Lebus bis nach Zellin fertiggestellt, den dann der Alte Fritz von 1747 bis 1753 hat weiterführen lassen bis Hohenwutzen, um die Trockenlegung des gesamten Oderbruchs voranzutreiben . Was hatte man damals für Möglichkeiten? Da wurde für den Bau an Material genommen, was man vorfand und das war Flussbett, Boden, Sand, Kies. Die Deiche waren völlig inhomogen. Mal ging das Wasser langsam durch, mal schnell, mal war eine Stelle dicht. Die Zusammensetzung des Materials hat nicht gestimmt an vielen Stellen. Auch die Böschungsneigung war zu steil. Schon 1830 hat man herausgefunden, dass besondere Schwachstellen im Deich dort sind, wo er über Altgewässer geführt worden ist. Aber man hatte nicht die technischen Möglichkeiten, den Boden bis fünf Meter tief auszutauschen und zu verfestigen.
Die Deiche sind nach der äußerst angespannten 1997er Hochwasserlage entsprechend der Normvorschriften alle neu aufgebaut worden. Die Deichhöhe haben wir nach einem 200-jährigen Wiederkehrsintervall für Hochwasser, also sehr hoch, bemessen und plus einem Meter Freibord zur Sicherheit aufgebaut. Der eine Meter Freibord ist gedacht, um höhere Wasserstände bei einer Eisversetzung abzufangen. Eisversetzungen kann man nicht berechnen, sie sind unberechenbar und können plötzlich auftreten an Stellen, wo man es nicht vermutet, natürlich in Flusskrümmungen, auch an Brücken und Sandbänken. Ein Schutz ist nur über diesen Sicherheitsabstand denkbar. Das ist wichtig, damit die Deichkrone nicht überspült wird wie im Winter 1947. Wenn dies geschieht, ist ein Deich kaum zu halten, die Sturzwelle reißt ihn weg. 1940 gab es unterhalb von Hohensaaten eine Eisversetzung, wo der Deich brach und Zehden, das heutige Cedynia, unter Wasser ging. Auch 1981/1982 hatten wir hier ein schweres Winterhochwasser, das wird oft vergessen. Damals bekam ich einen Anruf, Bleyen geht unter. Da mussten wir mit Sandsäcken einen Deich bauen und dafür sogar ein Stück vom Friedhof wegnehmen, weil sich bei der Wartheeinmündung unterhalb von Bleyen eine Eisversetzung gebildet hatte.
Gegen Verletzungen des Deiches durch Eisschollen, die in den Deichkörper einschneiden, kann man kaum etwas machen. Da kann man nur zuschauen und wenn das Eis weg ist, die Schäden reparieren. Vorbeugend kann man in Flusskrümmungen im Deichvorland Weiden pflanzen. Wenn das Eis gegen die Bäume schiebt, nehmen sie Druck von den Deichen. Die Weiden wachsen nach, wenn sie abgeschält werden. Solche biologischen Maßnahmen sind denkbar. Aber man darf das Deichvorland auch nicht quer zum Strom zu pflanzen, man muss Flutrinnen lassen durch die das Wasser fließen kann.
Ganz wichtig ist eine geschlossene Grasnarbe auf dem Deich zum Schutz vor Erosion. Wenn es regnet gäbe es ohne Rasen richtige Erosionsrinnen, die die Deichsicherheit gefährden. Die Grasnarbe müssen wir pflegen, sie hält den Deich zusammen. Natürlich kann man den Deich beweiden lassen, aber die Pflege muss immer den Vorrang haben. Das heißt, der Schäfer muss mit geringen Besatzzahlen arbeiten, damit das Gras nicht zertrampelt wird. Sind zu viele Schafe auf dem Deich, ist der nach zwei Jahren schwarz und schutzlos. Bei Regen haben Schafe auf dem Oderdeich allerdings nichts verloren, er ist zu steil, die Tiere rutschen weg und zerreißen die Grasnarbe. Die Schäfer brauchen also Ferchflächen im Deichvorland. Bei Hochwasser stehen die nicht zur Verfügung. Ins Deichhinterland lassen die Landwirte die Schäfer nicht, wegen einer bestimmten Krankheit, deren Erreger sich im Boden einnisten. Dann fressen die Schafe auch nicht alles, Disteln und Brennnesseln bleiben stehen. Ist der Schäfer bereit nachzumähen? Drei Strecken am Oderdeich sind vom Landesumweltamt zur Beweidung freigegeben, aber kaum ein Schäfer hat an einer solchen Fläche Interesse.
In Brandenburg finanziert das Land den Hochwasserschutz. Dem GEDO wird die Verantwortung oft fälschlicher Weise zugeordnet für die Deichpflege. Er ist unser Auftragnehmer. Das Land hatte die Leistung ausgeschrieben, ebenso gut hätte der Auftrag an andere vergeben werden können. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass es der GEDO macht, denn er kennt die Deiche, kennt die Landschaft, die Menschen. Eine Fremdfirma zieht nach der Arbeit ab, die sehen wir nie wieder. Es ist wichtig, dass die, die hier am Deich arbeiten auch im Hochwasserschutz dabei sind. Der Deichverband ist ja nicht aus dem Nichts entstanden. Früher waren die Landeigentümer verpflichtet zur Deichverteidigung zu kommen. Aber die Landwirte waren nur sehr unterschiedlich bereit Zeit einzusetzen. Und aufgrund der Kleinkavelung, also der Teilung der Feldmark in viele kleine Acker- und Wiesenflächen, sah auch der Deich aus wie ein Flickenteppich. Der Eine hat gemäht, der Andere nicht. Also wurde der Deichverband eingerichtet, der eine Großkavelung einrichtete und die Arbeiten übernahm, finanziert von den Eigentümern. Zu versuchen, die Deichpflege zentral zu regeln, ist die beste Lösung.
Bisher sind wir ganz gut gefahren mit der Aufgabenteilung. Ein Glück das das Land noch bereit ist, die Kosten zu tragen. Dafür behält es sich ein bestimmtes Mitspracherecht hier vor. Wenn das, was die Deichpflege kostet, noch auf den Beitrag zum GEDO aufgeschlagen wird, würde wohl die Landwirtschaft im Oderbruch unwirtschaftlich. Von Nachteil wäre es ebenso, würde das Deichhaus in Bad Freienwalde geschlossen und die Behörde müsste wie etwa die Landesforstverwaltung nach Eberswalde umziehen. Bad Freienwalde ist nah am Oderbruch, für schelle richtige Entscheidungen ist das wichtig. 1997 hat mir der damalige Ministerpräsident Manfred Stolpe schriftlich bestätigt, dass die Deichverwaltung in Freienwalde bleibt. Seine Nachfolger stellten dies bisher nicht in Frage. Es liegt mir sehr am Herzen, dass diese Stelle für die Wasserwirtschaft erhalten bleibt.
Deichpflege und Hochwasserschutz waren und sind aber nur ein Teil der Arbeit, für die man als leitender Bereichsingenieur im Freienwalder Deichhaus die Verantwortung trägt. Auch die Pflege und Unterhaltung der Gewässer 1. Ordnung gehört zu den Aufgaben. Diese Fließgewässer sind ein wesentlicher Teil des gesamten Entwässerungssystems und sichern die Vorflut. Die Entwässerung des Oderbruchs hängt mit dem Tiefpunkt des Bruchs in Hohensaaten zusammen. Dort war Mitte des 19. Jahrhunderts zunächst die sogenannte Finowschleuse gebaut worden, über die alles Wasser aus der Finow und aus dem Bruch über einen Vorflutkanal in Oder abgegeben wurde. Um das Oderbruch weiter entwässern zu können, wurde der Kanal nach 1900 zur Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße ausgebaut und zwei neue Schleusen errichtet, die Ost- und die West-Schleuse. Dafür ist die Finowschleuse verfüllt worden, sie lag zu hoch, um das Oderbruch weiter entwässern zu können.
Jetzt besteht hier die Gefahr eines Rückstaus von Wasser aus der Oder über die Hohensaaten-Friedrichthaler-Wasserstraße in das Oderbruch. Und bei jedem Hochwasser ist das der Fall, denn mit der Wehranlage in Hohensaaten kann man nur einen bestimmten Wasserstand erreichen oder halten. Es war bis 1965 der Normalfall, dass das Wehr bei Rückstau überstaut wurde und das Wasser ins Oderbruch eingedrungen ist. Die Wiesen zwischen Freienwalde und Bralitz, bei Falkenberg, Liepe lagen dann immer unter Wasser. 1965 wurden in einer Kneipe in Oderberg die Stauziele festgelegt auf 1,40 m über NN (Normalnull) bis 1,10 m über NN. Nur in diesem Bereich kann der Wasserstand am Wehr Hohensaaten reguliert werden. Er kann also sehr weit abgesenkt werden, aber bis 1,40 m kann auch sehr schnell wieder Wasser zurückstauen. Das funktioniert in der Regel sehr gut, bis auf Extremsituationen wie extremes Hochwasser oder Eisversetzungen – 1981/1982 haben wir nicht gewusst, ob die Schleusentore standhalten, weil sie überströmt wurden.
Mit dem Bau der leistungsstarken Schöpfwerke im Nieder-Oderbruch kurz vor 1900, zum Beispiel bei Liepe oder Hohensaaten, ist die Rückstaugefahr einigermaßen minimiert worden. Aber es ist nicht auszuschließen, dass ein Rückstau eintritt und der geht bis Neutrebbin. Wir haben kein Schöpfwerk oder Wehr zwischen Neutrebbin und Hohensaaten. Wir haben das Schöpfwerk Neutornow, das den Glietzener Polder abriegelt, wir haben in Freienwalde das Schöpfwerk Alttornow für den Ranfter Polder, aber das Gebiet, in dem sich die Alte Oder langschlängelt, über den Friedländer Strom bis Neutrebbin, geht unter Wasser. Kommen dann noch viele Abflüsse von oben dazu und das Drängewasser, dann wird’s schlimm.
Die Festlegung von 1965 zu den Stauzielen gilt heute noch. Es bringt auch nichts, die Oder auszubaggern, um den Abfluss zu verbessern. 1909 hatte die Preußische Marine einmal angefangen zu baggern, aber die Arbeiten wieder eingestellt, weil der Fluss durch die Gefälleverhältnisse immer wieder Sand nachschiebt. Die Oder ist sehr geschiebeführend, wenn man unten viel rausnimmt, dann wird der Fluss nur steiler und schiebt mehr nach.
Die größten Herausforderungen während meiner Dienstzeit waren die Hochwassersituationen, das muss ich schon sagen. Die schwere Winterkatastrophe mit Eishochwasser und Eisversetzungen 1981/1982 zählt dazu. Da mussten wir den Deich zwischen Hohensaaten und Hohenwutzen aufkaten, denn dort hatten wir nur noch 14 Zentimeter Freibord und der Deich drohte zu überfluten. Dazu braucht man natürlich viele Menschen und viel Material, was schwierig ist, wenn der Boden gefroren ist. Und man braucht Eisbrecher, ohne sie geht es nicht.
1997 war natürlich die schwierigste Situation, von der ich Niemandem wünsche, dass er sie nochmal erlebt. Theoretisch weiß man ja Bescheid, was zu tun ist im Katastrophenfall, aber es muss dann auch praktisch funktionieren. Und das hat es ja ganz prima. Die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr war wirklich einmalig.
Zu DDR-Zeiten hatten wir als Wasserwirtschaft die Befehlsgewalt im Katastrophenfall, das Landesumweltamt verstand sich dann – und versteht sich bis heute – als beratendes Organ. 1997 haben wir dem Landkreis fachliche Hilfe gegeben, der im Hochwasserfall ab Alarmstufe 3 die Verantwortung übernimmt. Das hieß, wir haben die Beratungen für den Katastrophenstab durchgeführt und Berater an den Deichunterabschnitten gestellt, die sich im Gebiet und im Deichbau auskennen, um gleich vor Ort festzulegen, was wie gemacht wird.
Die Zusammenarbeit mit Polen hat wasserwirtschaftlich immer gut geklappt. Selbst 1981/1982 bekamen wir trotz des Kriegsrechts in Polen, alle nötigen Informationen. Und auch 1997 war die Zusammenarbeit sehr gut mit den Hydrologen. Es gab gemeinsame Befahrungen des Grenzgewässers und in der Hochwasservorhersage kamen alle Meldungen – da bin ich auch für die Zukunft ganz beruhigt.
Es gab viele schöne Sachen, die ich erlebt habe in meiner Dienstzeit, zum Beispiel das gute kollegiale Verhältnis untereinander. Allein ist man machtlos, man muss sich auf seine Mitarbeiter verlassen können. Das schönste war die Unterstützung der Bevölkerung im Hochwasserfall, was da gebacken und versorgt wurde. Auch das wir die Landwirtschaft unterstützen konnten, insbesondere den Gemüseanbau, den wir ja in Größenordnungen hier hatten, war schön. Ohne Wasserzugabe läuft der ja nicht. Wir haben den Hebeleiter bei Kienitz ehrenamtlich gebaut, was nicht einfach war, gab ja kaum Material damals. Das wir die Beregnung sichern konnten, war schon ein schönes Erlebnis.
Mit der Wende 1990 kamen natürlich auch viele Fragen des Naturschutzes und neue Aufgaben auf. Die Landschaft ist kahl, was habt ihr hier gemacht, war eine teilweise berechtigte Frage. In der DDR-Zeit hatten wir die Dominanz der Landwirtschaft und deren wasserwirtschaftlichen Wünsche wurden weitestgehend befriedigt. Nun wurde nach Kompromissen gesucht, um Landwirtschaft wie Naturschutz zu berücksichtigen, zum Beispiel bei der Krautung der Gewässer. Die Fließgewässer im Oderbruch müssen gekrautet werden, sonst kann das Wasser nicht aus der Landschaft abfließen und staut zurück, mitunter bis auf die Felder. Wichtig war, dass die Grabensohle gekrautet wird, damit das Gewässer nicht zuwächst und die Vorflut gewährleistet ist. Aber im Uferbereich konnte man die Vegetation schonen, indem bestimmte Strecken wechselnd nur einseitig gemäht werden. Eine andere Frage war die Vitalisierung der Landschaft durch Anpflanzungen. Wir haben tausende Bäume gepflanzt an den Gräben. Da ist jetzt der Biber dran und freut sich des Lebens.
Als ich hier her kam hatten wir mit dem Biber überhaupt keine Probleme. Ende der 1960er Jahre habe ich das erste Mal von einem Biber im Oderbruch gehört. Der geht ja normaler Weise nicht in den Deich rein, nur dort wo immer Wasser ansteht, auch bei Niedrigwasser. Uns wurde damals geraten, diese Stellen zu beobachten. Dann haben wir festgestellt, er gräbt sich auch in den Deich, wo er über Land muss. Im Deich das sind ja seine Fluchtburgen. Seinen Bau hat er im Deichvorland. Die Fluchtburgen machen erheblichen Schaden. Wir haben bei Neurüdnitz mal eine aufgenommen, die ging bis zur Deichkrone mit vier großen Kesseln von zwei Quadratmetern Durchmesser. Wenn da mal Wasser hinein geht, ist der Deich verloren. Solche Schäden müssen aufgenommen und schnellstens wieder in Ordnung gebracht werden. Jetzt wird ja mit Stahlmatten gearbeitet, um solche Biberbauten zu verhindern. Das geht recht ordentlich, kostet aber einen Haufen Geld. Den ganzen Oderdeich kann man so nicht schützen.
Die Frage der Renaturierung, wie wir unsere Gewässer ökologisch gestalten wollen, war eine weitere der neuen Aufgaben. Das ist in einer Kulturlandschaft wie dem Oderbruch äußerst schwierig, denn wir müssen die Gewässer ja so bewirtschaften, dass noch ein Arbeiten und Leben möglich ist. Ich kann ja nicht alles wieder unter Wasser setzen. Das war nach der Jahrhundertflut 1997 die Kardinalfrage: Lohnt es sich die Nutzung des Oderbruchs noch, oder machen wir es frei von Besiedelung und lassen es wieder volllaufen? Wir als Wasserwirtschaftler erfüllen eine gesellschaftliche Aufgabe. Wenn man uns sagt, wir sollen das Oderbruch zulaufen lassen, dann ist das ganz schnell gemacht – aber Scherz beiseite.
Die Bevölkerung, die im Oderbruch Lebenden und Arbeitenden, müsste letztlich selbst bestimmen, wie sie aussehen soll ihre Landschaft. Man könnte sagen, wir legen die Deiche zurück, damit der Fluss mehr Raum bekommt. Das wäre durchaus denkbar. Man müsste jedoch auf Ackerflächen verzichten. Wir haben nach 1997 im Zuge der Rekonstruktion der Deiche versucht, Deichverlegungen durchzusetzen. Bis auf eine wenige Hektar große Deichrückverlegung bei Manschnow sind wir gescheitert an den Eigentümern. Wir müssen die Flächen ja kaufen, wenn wir einen neuen Deich bauen wollen. Um Zugriff auf die Flächen zu bekommen, müsste ein gesamtgesellschaftliches Denken einsetzen, in dem das gesellschaftliche Interesse höher steht als das Privatinteresse. Und das, so meine Erfahrungen, ist fraglich.
Es gab einen Mitteldeich im Glietzener Polder samt einem Einlassbauwerk und bis Mitte der 1920er Jahre ist der Polder bei Winterhochwasser zur Entlastung geflutet worden. Aber nicht nur das, man erhoffte sich durch das Absetzen der Schwebstoffe auch eine Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit. Der Deich wurde im Laufe der Jahre jedoch von den Landwirten selbst weggeackert, den sieht man heute gar nicht mehr. Es ist bis heute auch ein Problem, Deichschutzstreifen von fünf Metern anzulegen, da wird geackert bis an die Deichkante. Der Schutzstreifen ist ja dafür da, dass man sieht, wo Quellen am Deich entstehen, Wasser hochkommt. Solange die Quellen klarlaufen braucht man keine Angst um die Standsicherheit des Deichs zu haben, aber sobald sie trübe werden, Erde mitkommt, ist es problematisch. Eigentlich müsste der Deichschutzstreifen im Interesse aller Oderbrücher sein. Da gibt es schon noch Möglichkeiten, mit der Bevölkerung gemeinsam Veränderungen zu erreichen.
Wenn ich heute der Oder wieder Flächen frei geben will, muss ich aber auch wissen, was dies nützt. Die Deichrückverlegung bei Manschnow bringt für den Hochwasserschutz fast gar nichts. Das ist mehr Kosmetik. Da müsste man größere Flächen ins Auge fassen, aber hier scheitert man an den Entschädigungen. Es ist utopisch heute an eine größere Deichverlegung zu denken.
Auch die Wassereinleitungen in die alten Oderarme bringen nur ökologisch etwas. Wir haben ein Einlaufbauwerk in Reitwein über das sieben Kubikmeter pro Sekunde aus der Oder eingeleitet werden können. Wir sind aber durch die einengenden Bauwerke in der Alten Oder nur in der Lage fünf Kubikmeter pro Sekunde durch zu leiten. Es wäre notwendig das Flussbett und die Bauwerke auf zu weiten. Das sind reine ökologische Überlegungen, denn letztlich endet alles am Wehr Hohensaaten. Hier muss alles Wasser wieder aus dem Bruch heraus. Es gab um 1900 die Überlegung, dort ein zentrales Schöpfwerk zu bauen. Da hätten 12 große Pumpen hinein gemusst, um die nötige Leistung zu bringen. Und wer bezahlt es? Die Wasserstraße braucht das Schöpfwerk nicht, weder damals noch heute.
Die naturnähere Gestaltung des Deichvorlandes der Alten Oder war auch so ein Ziel, das wir uns mal gestellt haben. Dort sind Äcker drin, Gärten, Ställe, das müsste erst mal alles raus. Ökologisch denkbar und sinnvoll, aber wir haben es nicht erreicht.
Dominiert ein Interesse, kann dies allen auf lange Sicht zum Nachteil gereichen. Für mich als neutralen Beobachter war die Komplexmelioration nicht notwendig. Sie hat rücksichtslos die Landschaft so verformt, dass kleine natürliche Wasserspeicher, die ja da waren und heute von Nutzen wären, ausgelöscht wurden. Und wir hatten durchaus viele kleine Seen im Oderbruch, auch die Moore wurden entwässert. Die Komplexmelioration ist übers Ziel hinausgeschossen mit ihrer Prämisse, maximaler Einsatz von großen Maschinen und Geräten auf maximaler Fläche. Es hat sich ja dann auch gezeigt, dass sich die Erträge nicht wesentlich verändert haben, es gab sogar Rückschläge trotz Melioration. Es ist erwiesen, dass mit der Komplexmelioration die Bodenverdichtung durch die schweren Landmaschinen zugenommen hat.
Dass man gemeinsam für die Landschaft arbeiten kann, zeigt der Staubeirat. Wir haben einmal gemeinsam mit den Landwirten im Staubeirat Entwässerungstiefen festgelegt für die einzelnen Fluren im Oderbruch und angepasst an die Feldfrüchte, die angebaut werden, auch für die Ortschaften, Flugplätze, alles. Die Festlegungen wurden eigentlich von allen akzeptiert. Unser Landkreis hat als einer der wenigen noch einen Stau- oder Gewässerbeirat. Der ist gesetzlich nirgendwo definiert. Da sind alle Interessenten drin, das Wasserstraßenamt, die Landwirte, der Naturschutz, die Kommunen… Probleme wurden und werden dort besprochen. Das ist eine wunderbare Sache, aber er ist rechtlich nicht abgesichert. Das ist ein Relikt aus DDR-Zeiten. Und man kann ja auch eingreifen und den Landschaftswasserhaushalt regulieren, durch Wehrabsenkung und dergleichen. Das kann man alles machen, man muss nur miteinander reden. Da ging es auch manchmal hoch her. Aber wir haben immer einen Konsens gefunden. Wir haben uns monatlich getroffen, heute ist es wohl etwas weniger. Aber wenn einer dagegen klagt und gerichtlich gegen die Absprachen vorgeht, wäre nichts zu machen.
Ob man heute noch mal so einen handlungsfähigen Beirat einrichten könnte, ist zu bezweifeln. Wenn jeder auf seinen mitunter radikalen Positionen beharrt, so wie es heute oft auch im Naturschutz oder der Landwirtschaft der Fall ist, kann man keinen Staubeirat gründen. Nehmen sie die Waldbesitzer. Die haben ganz andere Interessen als die Landwirte und wollen am liebsten gar nichts bezahlen. Wenn wir das heutige Solidarprinzip aber auflösen, dann können wir auch ganz aufhören. Das darf nicht passieren. Das ganze System Oderbruch kann nur funktionieren, wenn alle Interessenten eine gemeinsame Richtung haben.