
Über Idee und Anspruch der Landschaftskommunikation
Texte zur Selbstreflexion des Oderbruchmuseums I
Pro oder contra, so heißt es bei gern bei Diskussionsveranstaltungen, ja oder nein? Was spricht auch dagegen, in einer Debatte konträre Positionen zu beziehen und sie öffentlich auszutragen? Um es vorweg zu sagen: Nichts spricht dagegen, es ist sogar oftmals geboten. Und doch kann man sagen: Hat eine gesellschaftliche Debatte erst einmal eine dauerhaft polare Struktur angenommen, die nur noch schwarz oder weiß zulässt, ist meistens etwas schiefgegangen. Denn die Welt ist komplex und es gibt zu den meisten Sichtweisen nicht nur eine konträre, sondern viele mehr oder weniger abweichende, alternative Aspekte in den Mittelpunkt stellende oder sie anders verknüpfende Perspektiven. Reduzieren wir einen Sachverhalt im Interesse von Entscheidungen auf eine duale Logik, haben wir meist bereits viele Möglichkeiten ausgelassen, unsere Orientierung nach verschiedenen Richtungen hin abzusichern.
Die Frage nach „Ja“ oder „Nein“ verdankt sich in unserer Gesellschaft meist der Engführung des politischen Diskurses. Einerseits ist das unvermeidbar, denn politische Entscheidungen müssen nun einmal getroffen oder abgelehnt werden, um sie demokratisch legitimieren oder ablehnen zu können. Dieser Umstand führt allerdings dazu, dass die Notwendigkeit zur zentralen Figur des politischen Diskurses wird. Deshalb werden unsere Diskurse von Gefahren, Zwangslagen und Alternativlosigkeiten beherrscht, und die Menschen finden sich bald darauf in Lagern wieder: Hier die Einsichtigen, dort die Uneinsichtigen. In der Gegenwart vermischen sich diese Muster zudem mit den alten Zuschreibungen von rechts und links, was wiederum polare Logiken fördert.
Sobald Diskurse die Gesellschaft in gegnerische Lager spalten, verknüpft sich die inhaltliche Position mit einer sozialen Position, die der Einzelne nicht mehr ohne weiteres verlassen kann. Nehmen wir an, in einer Debatte kann eine Partei mit guten Argumenten auftreten. Für die Parteigänger der gegnerischen Position ist es ohne Gesichtsverlust dann kaum mehr möglich, diesen zuzustimmen; das hieße, das Lager wechseln. Also investieren beide Lager nur noch in möglichst wirksame Strategien, Recht zu behalten und eine gedachte schweigende Öffentlichkeit auf je ihre Seite zu ziehen. Dies wiederum löst Mobilisierungen aus, wie sie erstens in Form von Medienkampagnen und zweitens in Form von bekenntnishaften Sprachregelungen derzeit das Bild bestimmen, was zu einer immer weiteren Entmündigung der Öffentlichkeit führt.
Das Leben passt in kein duales Schema. Der Reichtum einer komplexen Welt, die Vielfalt ihrer Möglichkeiten, die Freiräume durch neues Denken, aber auch die Bindung an Umstände und Bedingungen, die aus dem Leben an einem konkreten Ort und in einer bestimmten Zeit erwachsen, all diese gedanklichen Wege lassen sich auf diese Weise nicht erschließen. Für die Regionalentwicklung ist duales Denken tödlich, es zwingt die Gesellschaft in die Einseitigkeit, wo Vielseitigkeit die zentrale Bedingung für ein gutes Leben ist. Das hängt auch damit zusammen, dass die verschiedenen Teilsysteme an der lebendigen Landschaft immer nur eine eingeschränkte Geltung beanspruchen können. Nehmen wir das Beispiel der Energiewende: Sie ist gerade kein reines Rechtsgeschäft, aber auch kein rein wirtschaftlicher Prozess. Die Einrichtung von Vorrangflächen für Windräder oder Photovoltaikanlagen ist auch eine politische, eine ökologische und ästhetische Angelegenheit. Unsere gesellschaftlichen Regeln, das weiß jeder Mensch, können diesen Aspekten nur eingeschränkt gerecht werden. Also sind Klugheit, Abwägung, ja Zurückhaltung und ein hoch qualifiziertes Raumverständnis gefragt.
In der Landschaftskommunikation gehen wir davon aus, dass grundsätzlich alle Menschen zur Verständigung über eine Angelegenheit etwas beitragen können, sofern sie jedenfalls eine eigene Erfahrung beisteuern können. Bei raumbezogenen Diskursen, also bei der Kommunikation über die miteinander geteilte Landschaft, ist dies der Fall, denn die Menschen bewohnen diese Landschaft, sie bewirtschaften, malen, zeichnen oder besingen sie, erforschen oder fotografieren sie, verwalten oder pflegen sie. Jede dieser einzelnen praktischen Aneignungen – seien sie theoretisch, ästhetisch oder praktisch-stofflicher Natur, stiften eine spezifische Sichtweise auf die Landschaft, die als Bausteine eines gemeinsamen Wissens begriffen werden können. Aufgabe der Landschaftskommunikation ist es nun, diese Bausteine mit den Menschen zu erstellen und in einen gemeinsamen Horizont zu stellen, sodass miteinander geteiltes, kollektives Wissen entsteht. Dies geschieht, indem das Erfahrungswissen der Menschen erfragt, dokumentiert und mit anderen Beiträgen verknüpft wird. Wissenschaftlich produziertes Wissen spielt hierbei natürlich auch eine Rolle, aber es hat keine Priorität. Denn die Forderung der Integrität und Erfahrungsgebundenheit richtet sich an alle Beiträge, die hierfür genutzt werden, nicht nur an die wissenschaftlichen. Das wissenschaftliche Wissen ist nicht per se das bessere, gesicherte Wissen, es ist hat vielmehr lediglich eigene Qualitätsmerkmale, die eingehalten oder gegen die verstoßen werden kann – wie im Alltagswissen auch.
Das so entstehende Wissen vom Raum, von der Landschaft, hat keine duale Struktur, es passt nicht in ein Schwarzweiß-Schema, sondern integriert verschiedenste Beobachtungen, Beschreibungen und Erfahrungen in einen gemeinsamen Horizont. Dieser Horizont ist vielstimmig und verbunden, denn alle Beschreibungen beziehen sich auf denselben Gegenstand: die miteinander geteilte Landschaft.
Führt dies nicht in die Beliebigkeit, wurde ich neulich gefragt? Nun, es gibt zwei Korrektive, die dafür sorgen, dass das Ergebnis einer kollektiven Wissensproduktion mehr ist als buntes Einerlei.
Erstens: In erste Linie werden durch die Landschaftskommunikation Beschreibungen eingeholt, sie erfragt also weniger das Urteil der Menschen im Sinne einer Meinung, sondern ihre Empirie: Was siehst, du, was hast du in Erfahrung gebracht, wie lässt sich dieses Erfahrene sprachlich ausdrücken? Die Inhalte der Landschaftskommunikation haben eine Beziehungsqualität, sie sind weder rein subjektiv noch rein objektiv. Wer über seine Beziehung zur Landschaft in ihren vielen Facetten spricht, billigt sowohl der Wirklichkeit des Raums als auch der Wirklichkeit des eigenen Erlebens einen Anteil an der Wahrheit zu. Diese Abwägung ist kostbar, sie führt tatsächlich zu Ergebnissen in einer hohen Qualität, wie die Texte in den Werkstattbüchern des Museums, die zu den einzelnen Jahresthemen herausgegeben werden, immer wieder beweisen.
Zweitens: Jeder, der für diese Kommunikationsform um seinen Beitrag gebeten wird, gibt diesen Beitrag in dem Wissen frei, dass auch die anderen Menschen den eigenen Beitrag nachher lesen oder jedenfalls zur Kenntnis nehmen können. Die Befragten setzten sich also von allein zu den anderen Menschen in Beziehung, was im Hinblick auf die Anschlussfähigkeit und auch die Integrität der Beiträge sehr hilfreich ist. Denn Beschreibungen können von anderen überprüft und korrigiert werden – sie haben ja einen gemeinsame Erfahrungsgegenstand vor sich, den miteinander geteilten Raum.
Aus diesen beiden Gründen ist es selten vorgekommen, dass das mit den Mitteln der Landschaftskommunikation erzeugte kollektive Wissen sich als nicht belastbar oder willkürlich erwiesen hat. Es ist im Gegenteil eine recht zuverlässige Weise, gemeinsam zu einer komplexen Sicht auf eine komplexe Welt zu gelangen. Voraussetzung ist die möglichst reiche Streuung der Perspektiven, sodass zu einem Thema auch unterschiedliche Perspektiven in je eigener Erfahrung zusammengetragen werden können. Methodisch konkret heiß dies: Zu einem Jahresthema LANDWIRTSCHAFT fragen wir zwar überwiegend Landwirte (denn diese haben die landwirtschaftliche Erfahrung), streuen dann aber das Befragungsset so weit wie möglich, indem wir kleine und große Betriebe, Direktvermarkter und Marktfruchtbauern, Tierhalter und reine Feldbaubetreibe, biologisch zertifizierte und so genannte konventionelle Betriebe, alt eingesessene und neu eingerichtete Betriebe und viele weitere Merkmale unterschieden. Auf diese Weise kommt man zu einer Übersicht, in der verschiedene einzelne Beiträge sich gegenseitig implizit erhellen, kommentieren und auch relativieren, denn spätestens die Leser oder die Besucher unserer Ausstellungen oder Theaterstücke sehen das angedeutete Ganze und nicht nur einen manipulativ gewählten Ausschnitt.
Die Landschaftskommunikation ist für uns nicht nur eine unerlässliche Grundlage der Arbeit am Oderbruchmuseum. Sie ist ein Modellfall für gelingende gesellschaftliche Kommunikation überhaupt: Alle können etwas beitragen. Es gibt mehr als zwei mögliche Sichtweisen. Ob eine Sache von Belang ist, wird der Diskurs zeigen und kann nicht vorgegeben werden.
Wie schlägt sich diese Arbeitsweise nun im Museum nieder, in seiner Gestaltung, in den konkreten Räumen, die besucht, angesehen und erkundet werden können? Davon wird der zweite Teil dieser kleinen Serie über das Kuratieren handeln.