Das Oderbruch ist eine Murmelbahn

Funktionsprobe der Oderbruch-Murmelbahn:  Kenneth Anders, Frieder Oberländer und Reinier Scheers (v.l.n.r.). Fotos: Michael Anker

„Weltweit ist sie beispiellos“, vermutet Reinier Scheers. Jedenfalls hätte ihr Konstrukteur bei seinen Recherchen im Internet keine Murmelbahn dieses Ausmaßes gefunden. Einmalig ist sie immerhin, denn sie zeigt das bewegte Modell eines Wasser-Ökosystems, ohne das ein Tropfen Wasser fließt. Die Murmelbahn wird auch nicht durch elektrische Energie betrieben und es wird keine App benötigt, um sie zu steuern. Einzig Mechanik und Gravitation treibt dieses neue Highlight des Museums an. Und wer das Museum kennt, weiß, hier darf oder soll sogar alles angefasst werden: spielerisch, haptisch lernen ist das Programm. Die bläulich und grünlich schimmernden Kugeln, die über die etwa zwölf Quadratmeter große Fläche rollen, faszinieren nicht nur Kinder, auch Erwachsene werden in ihren Bann gezogen. Denn das, was sich nach einem Kinderspielzeug anhört, ist ein komplexes System aus Gefällen und Ebenen, Rinnen und Hindernissen: der Topografie des Oderbruchs nachempfunden.

Das Fließsystem des Wassers im Oderbruch mit Glasmurmeln sinnlich erlebbar zu machen – darauf muss man erst einmal kommen. „Es ist ein seit Jahren gehegter Wunsch von uns, die Wasserwege im Oderbruch auch spielerisch zu erfahren“, sagt Kenneth Anders, der Programmleiter des Museums. Er hatte die Idee zu diesem ungewöhnlichen Modell, nachdem er den Tourismus-Flipper im Verkehrsmuseum in Luzern sah. Dort kann mit Schweizer Klischees wie Käse, Schokolade oder Geldwäsche, gespielt werden. Ein kleines Objekt, aber einer der größten Anziehungspunkte in diesem Museum. „So etwas können wir auch“, dachte sich Anders. Gemeinsam mit Martin Porath vom Gewässer- und Deichverband wurde das Terrain abgesteckt, das die Zusammenhänge des Fließsystems deutlich macht. Für die Herstellung wurde der Zimmermann Reinier Scheers gewonnen. „Für ihn ist es nicht nur ein gewöhnlicher Auftrag. Es ist ihm, wie man so sagt, eine Herzensangelegenheit“, sagt Kenneth Anders anerkennend. Ein handwerklicher Prozess sei entstanden, vergleichbar mit der Trockenlegung des Oderbruchs.

Reinier Scheers tüftelte zwar nicht 250 Jahre an der Ausgewogenheit seines Systems, aber mehrere Monate hat ihn das Modell schon beansprucht. Immer wieder änderte er kleine Details, testete die Mechanik oder korrigierte das Gefälle. Die Geschwindigkeit der Murmeln darf nicht zu hoch sein aber diese dürfen auch nicht in der Bahn liegen bleiben. Mittels hölzerner Handräder werden die kleinen Kugeln auf die Platte befördert und starten etwa bei Güstebieser Loose ihren Lauf. Einige fließen in Richtung Wriezen, andere in Richtung Hohensaaten und ein Teil der Kugeln durch die Gräben des Oderbruchs. Auch ein Dammbruch kann simuliert werden und setzt die Dörfer des Bruchs „unter Wasser“. Zwei ebenfalls mit Handrädern betriebene Schöpfwerke fördern die aufgelaufene Kugelmenge weiter. In Hohensaaten verschwinden die Murmeln wieder in der Platte. Jeder, der die Anlage bisher sah, stand mit offenem Mund vor diesem handwerklichen Meisterstück. In diesen Tagen montiert Reinier Scheers gemeinsam mit Frieder Oberländer, dem „Haustischler des Museums“, die Einzelteile der Murmelbahn. Es wird noch einmal geschraubt und geschliffen, bevor am 23. Mai 2020 ein neues Highlight im Museum eingeweiht wird. Corona-bedingt wird es dazu keine Veranstaltung geben. Besucher können aber das zurzeit täglich geöffnete Oderbruch Museum Altranft besuchen und die Murmelbahn ausprobieren. Es ist auf jeden Fall ein lohnendes Ausflugsziel, gerade für Familien mit Kindern. Übrigens, die Eintrittskarten sind gleichzeitig Jahreskarten.

(MA)