Reise durch die Kulturerbe-Orte des Oderbruchs – Episode 14
Heimatstuben und Dorfmuseen sind die Seelen-Orte des Kulturerbes im Oderbruch und sie sind wahre Zeitkapseln. Über Jahrzehnte, oft noch weit länger sammelten die Menschen dort Gegenstände des täglichen Gebrauchs – natürlich erst wenn sie durch modernere oder neue ausgewechselt wurden – quasi nicht mehr gebraucht wurden. Einige dieser Sammlungen früheren Lebens, früherer Kultur, sind inzwischen Mitglieder im Netzwerk der Kulturerbe-Initiative. Nun darf man den Begriff Museum in diesem Zusammenhang nicht allzu wörtlich nehmen. Die Bandbreite dieser Orte reicht von einzelnen Zimmern in Gemeindehäusern bist zu komplett umgewidmeten Gebäuden. Die kleineren unter ihnen werden wir in dieser Episode besuchen.
Wie die Bewohner vieler ländlicher Regionen, fühlen sich auch die Oderbrücher der Tradition verpflichtet. Ihnen wäre es nicht in den Sinn gekommen, lieb gewonnene aber „ausgediente“ Gegenstände achtlos wegzuwerfen. Oft wurden sie zu neuem Gebrauch verändert. Nach dem Zweiten Weltkrieg zum Beispiel wurden, nicht nur aus der materiellen Not heraus, Stahlhelme zu Kochgeschirr umgearbeitet. Lange bevor die Friedensbewegung „Schwerter zu Pflugscharen“ zu ihrem Leitmotiv machte. Anderen Metallgegenständen wurde, in den einstmals in vielen Dörfern vorhandenen Schmieden, neues Leben eingehaucht. Recycling oder Upcycling waren auf dem Land gängige Praktiken, bevor diese Begriffe „erfunden“ wurde.
Aber nicht nur das, oft wurden landwirtschaftliche Werkzeuge auf diese Weise den hiesigen Bedingungen angepasst oder zu einzigartigen Geräten weiterentwickelt. Was dann wirklich „zu nichts mehr nutze“ war, landete auf dem Schrottplatz. Einige Engagierte, wie der heute 90-jährige Helmut Hulitschke, die diese einzigartige Sammelleidenschaft in sich spüren, bargen die Geräte und sorgten sich um ihren Erhalt. „Im Jahr 1998 gründeten meine Frau Ursula und ich das Friedrichsauer Dorfmuseum. Es ist im ehemaligen Kulturhaus, der späteren Konsum-Gaststätte, untergebracht. Seit 1947 sammelte ich was andere Leute wegwarfen – alte Ackergeräte, Werkzeuge und Dokumente. Die Staatsdomäne Friedrichsaue war nach dem Krieg total zerschossen. Alles lag herum, man musste sich nur bücken. Viele Gerätschaften landeten damals auf dem Schrott. Hätte ich sie nicht geholt, sie wären weg gewesen. Ich machte mir die Mühe, sie wieder aufzubauen. Nachdem die Leute die erste Ausstellung sahen, kamen manche mit einer ganzen Hängerladung voller alter Geräte zu mir. So wuchs die Ausstellung nach und nach“, erzählt Helmut Hulitschke. In seinem kleinen Museum sind die Abteilungen nach im Oderbruch angebauten Feldfrüchten sortiert, Zuckerrüben, Getreide, Kartoffeln – Häufelpflug, Schuffler, Kartoffelklapper oder eine über hundert Jahre alte Bodenwalze.
Nichtmetallischer Hausrat landete auf den Speichern oder Dachböden und geriet für eine kürzere oder längere Zeit in Vergessenheit. Meist bei Renovierungs- oder Umbauarbeiten wurden die „historisch gereiften“ Objekte wiederentdeckt und fanden dann den Weg in die Sammlungen der Heimatstuben. Es ist erstaunlich was auf diese Weise die Zeit überdauerte: ganze Kücheneinrichtungen mit Möbeln, Geschirr und Vorratsbehältern oder Zimmerausstattungen ebenfalls mit Möbeln, Bettzeug und Textilien sowie bäuerliche Gerätschaften. Aus einzelnen Sammlungsstücken haben ehrenamtliche Betreuerinnen und Betreuer der Heimatstuben Szenen früheren bäuerlichen Lebens zusammengestellt. Solche Ausstellungen zeigen die Heimatstuben von Bliesdorf, Neulewin, Wollup oder Letschin. Daneben gibt es weitere Mini-Museen, die sich speziellen Themen widmen, wie die Dorfschule Neuhardenberg oder das Korbmachermuseum Buschdorf. Beide werden wir in anderen Episoden unserer Reise durch die Kulturerbe-Orte besuchen.
Das Fachwerkhaus der Heimatstube in Neulewin, ein Tagelöhnerhaus, wurde 1885 gebaut. „Trotz seiner bescheidenen Größe wohnten in ihm einst zwei Familien. Jede mit eigener Küche“, erzählt Monika Kaiser, die sich mit vier weiteren Mitgliedern des Heimatvereins um den Erhalt der Sammlung kümmert. Landarbeiter oder Tagelöhner hätten früher unter sehr ärmlichen und beengten Verhältnissen in solchen Häusern gewohnt. Bis 1989 sei die eine Haushälfte, die zweite war bereits baufällig, noch von einer alten Frau bewohnt worden. Nachdem diese verstorben war, erwarb die Gemeinde das Haus und baute es zur Heimatstube um. Die Räume beherbergen jetzt vieles von dem, was ein Haushalt vor einhundert Jahren benötigte. Über der gemauerten Kochmaschine in einer der beiden Küchen prangt der Spruch „Eigener Herd ist Goldes wert“. Darunter befindet sich eine Sammlung von alten Küchenutensilien. Wenn die Verhältnisse auch bescheiden waren, so hatten die Bewohner immerhin ein Dach über dem Kopf. Obwohl die Zimmer heute verhältnismäßig hell sind, kann man einen guten Eindruck von der einstigen Enge bekommen. „Die Leute kamen ja früher nur zum Schlafen hierher. Die meiste Zeit des Tages waren sie auf den Feldern mit ihrer Lohnarbeit beschäftigt“, erwähnt Monika Kaiser noch.
Einen ähnlich authentischen Eindruck bescheidenen Landlebens im Oderbuch, wie es die Heimatstube Neulewin vermittelt, gibt es auch in der Heimatstube in Bliesdorf zu sehen. Auch dort geht es sehr beengt zu. Besucher sollten sich vorab über die Öffnungszeiten der kleinen Häuser informieren. Die ehrenamtlichen Betreuer sind oft auch bereit, außerhalb dieser Zeiten für Interessierte zu öffnen. Kontaktmöglichkeiten finden sich in der Broschüre „Schau ins Bruch“. Sie ist an touristischen Punkten und im Museum kostenlos erhältlich.
Weitere Informationen zu den Kulturerbe-Orten finden Sie unter: www.oderbruchmuseum.de/kulturerbe-orte.
Bisher erschiene Episoden können Sie unter folgendem Link lesen: https://blog.oderbruchmuseum.de/category/kulturerbe.