Der Museumsverband Brandenburg arbeitet derzeit an einer neuen Museums-Entwicklungskonzeption, mit der er sein eigenes Selbstverständnis schärfen will. Die Erarbeitung erfolgt unter größtmöglicher Beteiligung der Museen selbst und natürlich jener, die an diesen Museen arbeiten und sie gestalten. Dazu wurde ein Fragebogen erstellt, der in erster Linie der Selbstreflexion dient.
Programmleiter Kenneth Anders, selbst im Vorstand des Verbandes aktiv, hat die Fragen beantwortet.
Was ist (m)ein Museum? – Ein Nachdenk-Fragebogen
Oderbruch Museum Altranft
Dr. Anders, Kenneth
Programmleitung
- Warum sollte man sich für Ihr Museum interessieren?
„Mein“ Museum ist ein Ort, in dem eine besondere Kulturlandschaft auf vielgestaltige und eigenartige Weise zum Ausdruck kommt. Es ist ein Museum für Landschaftskommunikation, das für die Menschen in dieser Landschaft und für ihre Verständigung über den geteilten Raum da sein will. Deren Wissen, Einsichten und Erfahrungen sollen sich in dem Museum niederschlagen. Ich meine, dass viele Museen eine Schnittmenge zu diesem Ansatz haben, aber dass „mein“ Museum diese Programmatik expliziter verfolgt, als die meisten anderen.
Die Lösungen, die für diesen Ansatz gefunden wurden, vereinen Objekte, Kunst, Text, audiovisuelle Medien und spielerische Anreize in einem ungewöhnlichen Raumerlebnis. Insofern kann man – so hoffe ich – auch relativ schnell erfassen, wie das Museum arbeitet und welchen Anspruch es verfolgt.
Die grundlegende Struktur der meisten Räume geht vom Gedanken des Sammelns aus. Man muss verstehen, was in den Räumen zusammengetragen und wie es präsentiert wird, daraufhin kann man sich selbst durch das Material hindurcharbeiten. Dieses Material aber nimmt mit den Jahren zu, es wird also immer mehr Fülle aus den Kommunikationen über den Raum eingetragen.
Damit das funktioniert, damit die Räume also nicht überfrachtet das Publikum nicht überfordert wird, sind Transparenz und Ordnung erforderlich. Die kuratorische Ordnung stellt sich in den Dienst des Verstehens. Je mehr das Museum diesem Prinzip folgt, umso eigenwilliger das Erlebnis, das es bietet, denn der Landschaftsraum, von dem es handelt, wird immer mehr als Reichtum, als Produkt von Autopoiesis erlebbar.
- Was möchten Sie mit Ihrer Museumsarbeit bewirken? Was treibt Sie an?
Mein Anliegen ist es, eine kulturelle Form der regionalen Selbstbeschreibung zu gestalten, die über die Themen und Objekte des Museums vermittelt ist. Es geht also nicht so sehr darum, das Fachwissen der einen an die (vermeintlich unwissenden) anderen Menschen zu vermitteln, sondern darum, viele Menschen mit ihren Erfahrungen an einer gemeinsamen Wissensproduktion zu beteiligen. Sie wirken an Beschreibungen mit, die immer weiter ergänzt und erweitert werden können. Dabei werden unterschiedliche Fähigkeiten und Kompetenzen gebraucht.
Ich gehe also davon aus, dass das Museum selbst ein sozialer Prozess ist, der die Menschen in meiner Landschaft zusammenbringt.
Einmal habe ich das mit einem Orchester verglichen, das aus vielen Mitspielern mit vielen Instrumenten besteht. Dieses Orchester bietet auch den neu Hinzukommenden die Möglichkeit mitzuspielen, weil sie eine Melodie hören und einen Rhythmus wahrnehmen. So können alle in ihre Rolle finden. In einer Zeit, in der der ländliche Raum immer weiter suburbanisiert und demografisch durchgeschüttelt wird, scheint mir diese Interaktion zwischen Alt-Eingesessenen und Neu-Zugezogenen sehr wichtig. Drittens soll aber auch nach außen etwas sinnlich vorgestellt werden, d.h. die Menschen, die nicht im Oderbruch leben, sollen durch das Museum besser verstehen, was es mit dieser Landschaft auf sich hat, wie komplex seine Wasserverhältnisse sind, wie es mit seiner Landwirtschaft oder ländlichen Kultur steht usw..
Somit hoffe ich, dass mein Museum einen spürbaren Beitrag zur Regionalentwicklung meiner Landschaft und zur Verständigung der Menschen untereinander leistet.
- Was kommt bei Ihnen im Museum zu kurz? Was stört Sie an Ihrem Museum?
Die In-Situ-Liegenschaften meines Museums sind über ein relativ großes Dorf verstreut. Das erschwert es erheblich, ein starkes Besuchserlebnis unter Mitwirkung aller Standorte zu bieten. Diese Situation ist aber historisch bedingt, sie resultiert aus der Dorf- und Museumsgeschichte selbst. Ich denke dann, dass Museen nicht viel anders als Menschen sind: Man kann sie sich nicht aussuchen, sie haben eine Individualität, und sie haben Fehler, die man nicht willkürlich beseitigen kann. Man kann nur lernen, mit dieser Individualität möglichst wertschätzend umzugehen und dem Museum dabei zu helfen, mit seinen eigenen Mängeln fertigzuwerden, bis sich diese Mängel vielleicht dermaleinst als Vorzüge erweisen.
- Für wen machen Sie Ihre Museumsarbeit?
In erster Linie mache ich meine Arbeit für die Menschen im Oderbruch, für die das Museum ein Nutzen und Gewinn soll. Ich hoffe sehr, dass diese Menschen oder jedenfalls einige von ihnen das auch so wahrnehmen können.
- Mit wem arbeiten Sie gerne zusammen? (außerhalb Ihres Museumsteams)
Unser Museum ist methodisch auf die Zusammenarbeit mit jenen ausgerichtet, die die Region durch ihre Arbeit und ihr Engagement prägen und gestalten. Diese Menschen werden über verschiedene Jahresthemen (Landwirtschaft, Wasser, Kirche, Jugend, Bauen, Natur etc.) angesprochen. Außerdem interagieren wir kontinuierlich mit Akteuren, die ausgewiesene Kulturerbe-Orte im Oderbruch betreuen – Heimatstuben, kleine Museen, aber auch Kirchen, ganze Dörfer oder Denkmale. Schließlich arbeiten wir mit elf Schulen im Oderbruch zusammen, weshalb wir viel mit Kindern und Jugendlichen sowie mit deren Lehrern und Lehrerinnen zu tun haben. Die Zusammenarbeit hat also einen weiten Gradienten zwischen dauerhaften Kooperationsbeziehungen und temporären Projekten. Alle Formen haben ihre Bedeutung und ihren kulturellen Ertrag.
- Welchen erzählerischen Beitrag leistet Ihr Museum für das Land Brandenburg / – für Ihre Region / für Ihren Ort
In der Tat versuchen wir, das Museum auf allen räumlichen Ebenen mit einem erzählerischen Beitrag zu verankern. Es liegt im Dorf Altranft, deshalb kann es auch nicht ohne die Beschäftigung mit der lokalen Geschichte und den örtlichen Besonderheiten erfolgreich sein. Wir widmen uns also den Feinheiten des Ortes, seinen Menschen, Gebäuden und Geschichten. Es ist wichtig, immer besser zu verstehen, was hier stattgefunden hat, um daraus ein Verständnis zu entwickeln, was heute ist und noch geschehen könnte.
Auf einer der zweiten räumlichen Ebene liegt das Oderbruch. Hier wird die wichtigste Leistung des Museums erbracht, denn mit über 4o Kulturerbe-Orten sowie vielen einzelnen Menschen engagiert sich das Museum für eine gemeinsame landschaftliche Erzählung, zu der alle ihren Beitrag leisten, ihr eigenes Kapitel schrieben können. Die Geschichte des Wasserbaus, der Kolonisierung des Bruchs und der Entstehung moderner bäuerlicher Strukturen, die besondere Siedlungs- und Baugeschichte und nicht zuletzt die offene und vitale ländliche Gesellschaft der Gegenwart treten so in den Blick.
Auf einer dritten Ebene wird dieser räumliche Horizont überschritten, und das Oderbruch wird als Teil Brandenburgs, Deutschland und – durch das Europäische Kulturerbe-Siegel – auch Europas kenntlich, es leistet also wiederum einen erzählerischen Beitrag für diese größeren Gesellschaften. Dabei verstehen wir es als exemplarischen Sonderfall, also einerseits als eine Landschaft, an der charakteristische brandenburgische, deutsche oder europäische Aspekte zur Anschauung kommen, zum anderen aber auch als eigenartiges und individuelles Gebilde.
Grundsätzlich meinen wir, jede Kulturlandschaft sollte ein solches Museum unterhalten, denn auf diese Weise würde die Vielfalt der Regionen und Landschaften sichtbar und bewusst.
- Welchem Thema würden Sie sich gerne stärker widmen?
Ich würde gern mehr in den Diskurs über aktuelle Konflikte des Landschaftsentwicklung investieren, zum Beispiel in die Debatte um die Stromregelung der Oder, über den massiv forcierten Ausbau von Windenergiegewinnung und Photovoltaik oder über das geplante Naturschutzgroßprojekt im Niederoderbruch. Hierfür bräuchten wir eine entsprechende finanzielle Ausstattung, denn wenn die Auseinandersetzung mit Problemen der Regionalentwicklung mit kulturellen Mitteln einen Mehrwert habe soll, dann müssen diese Mittel auch in einer hohen Sorgfalt in Anschlag gebracht und nicht aus dem Ärmel geschüttelt werden.
- Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie sich für Ihr Museum wünschen?
Ich würde mir einen neutralen Ausstellungsraum für wechselnde Kunstausstellungen wünschen, um die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Oderbruch zu präsentieren und anzuregen. Denn die Bilder und Gestaltungen, die von dieser Landschaft erarbeitet werden, haben mehr Einfluss auf die Zukunft dieser Landschaft, als gemeinhin angenommen wird.
- Welche Aufgaben sind Ihnen wichtig, wenn Sie an den Museumsverband denken?
Der Museumsverband Brandenburg versteht es besser als viele andere vergleichbare Körperschaften, die ihm anvertraute kulturelle Form (in diesem Falle des Museums) in ihrer Vielfalt und Kraft kulturpolitisch geltend zu machen, sie durch Erfahrungsaustausch und Weiterbildung zu unterstützen und die gemeinsame Netzwerkbildung zu fördern. Dabei herrschen einfache Grundsätze der Wertschätzung, eines hohen fachlichen Urteilsvermögens und einer gegenseitigen Aufgeschlossenheit.
In einer Zeit der allgemeinen Professionalisierung des Museumswesens scheint es mir wichtig, dass der Verband der Hierarchisierung von „groß“ und „klein“ oder „professionell“ und „ehrenamtlich“ widersteht und stattdessen die Autopoiesis der Museen im Blick behält und sie unterstützt. In Museen laufen soziale, kulturelle, ökonomische und kulturpolitische Prozesse zusammen und bilden miteinander beinahe so etwas wie einen Organismus, der sich von seiner Umwelt unterschiedet und eine Eigenlogik entfaltet. Darin liegt ihr kulturelles Potenzial für die Gesellschaft: zu zeigen und erfahrbar zu machen, dass man mit der Welt auch anders umgehen kann, als wir es im Alltag tun. Dass alte Dinge eine Bedeutung haben können, dass Erinnerung, Neugier und Bewahrung ihren Platz und Ort haben.
Der Verband sollte die Museen in dieser alternativen Umgangsform mit dem Leben stärken und muss sie deshalb sowohl vor einer einseitigen „Fachlichkeit“, als auch vor politischen Moden oder diskursiven Gemeinplätzen schützen. Andernfalls unterscheiden sich die Museen dermaleinst nicht mehr von den Verwaltungen oder den Medien.
- Welche Zukunft sehen Sie für Ihr Museum / für die Museen in Brandenburg überhaupt?
Allgemein legen Museen eine erstaunliche Zähigkeit in der kulturellen Landschaft an den Tag, sodass ich grundsätzlich für die brandenburgischen Museen, trotz aller Sorgen, eine gute Zukunft sehe. In Bezug auf „mein“ Museum scheint mir eine große Offenheit zu herrschen, die aber bisher immer die als produktives Moment wirksam wurde und deshalb nicht zu beklagen ist. Es verhält sich bei „meinem“ Museum so, wie mit dem eigenen Leben: Man weiß nicht, was kommen wird, aber man hat eine Ahnung davon, was der nächste Schritt ist.
- Mein Museum in einem Satz:
Das Oderbruchmuseum ist eine kulturelle Form der regionalen Selbstbeschreibung, die Mittel der Sammlung, der Landschaftskommunikation und der Kunst nutzt.