Reise durch die Kulturerbe-Orte – Episode 17
Schon von Weitem sind sie zu sehen, die beiden Kolosse von Niederfinow. Das alte und das neue, erst im Oktober 2022 eröffnete, Schiffshebewerk. Die beiden gigantischen Fahrstühle befördern Güter- und Passagierschiffe vom 36 Meter höher gelegenen Oder-Havel-Kanal ins Oderbruch oder zurück. Anlässlich der Übergabe des Neubaus, wurde dem alten Hebewerk die Ehre zuteil, zum Kulturerbe-Ort des Oderbruchs erhoben zu werden. Das zuvor bereits zum technischen Denkmal erklärte alte Schiffshebewerk ist das älteste noch in Betrieb befindliche Deutschlands. Mindestens weitere fünf Jahre lang soll das auch so bleiben. Die Seniorin aus Stahl bleibt in Reserve, falls ihrem Sprössling aus Beton mal unwohl sein sollte. Eine sinnvolle Entscheidung, denn bereits die Niederkunft des Neuen war mit allerlei Geburtswehen verbunden.
Die Einweihung des neuen Hebewerks 2022 ist der Höhepunkt einer 400 Jahre währenden Wasserbaugeschichte am Rande des Oderbruchs. Sie begann im 16. Jahrhundert mit dem Bau des Finowkanals, der ersten künstlichen Wasserstraße Deutschlands. Mit der Eröffnung des Hohenzollernkanals 1914, der heutigen Havel-Oder-Wasserstraße, und des Schiffshebewerks Niederfinow 1934 verlor der Finowkanal nach und nach an Bedeutung. Zum historischen Ensemble gehören außerdem die Vier-Treppen-Schleuse und die Lieper Schleuse.
Um den beiden technischen Wunderwerken wirklich näher zu kommen, empfiehlt sich eine Schifffahrt durch die Hebewerke. Sie beginnt entweder am Anleger direkt in Niederfinow oder in Oderberg. In unserem Fall führte die Fahrt zuerst mit dem neuen Aufzug nach oben und dann mit dem alten wieder nach unten. Vom Deck des Schiffes aus sind die Dimensionen der Hebetröge und der Stahlseile, die sie halten, gut sichtbar. Riesige Ausgleichsgewichte sorgen dafür, dass die Massen von 9800 Tonnen beim neuen beziehungsweise 4200 Tonnen beim alten Hebewerk, von jeweils nur vier Elektromotoren bewegt werden können.
In einer, nach heutigen Verhältnissen kurzen Bauzeit von acht Jahren, zwischen 1926 und 1934, wurde aus tausenden Tonnen Stahlträgern ein 60 Meter hohes, 100 Meter langes und 28 Meter breites Gerüst errichtet. Etwa vier Millionen Nieten halten die Konstruktion zusammen. Obwohl es im Gegenlicht ziemlich filigran aussieht, war es seiner Zeit das größte Schiffshebewerk der Welt. Sein Trog im Inneren konnte vier der damals üblichen Finowmaßkähne aufnehmen. In etwa fünf Minuten überwanden sie so die 36 Meter Höhenunterschied. Im Vergleich zur Fahrt über die benachbarte Schleusentreppe konnten die Schiffer gut anderthalb Stunden einsparen. Der 85 Meter lange und zwölf Meter breite Trog wird durch 256 Tragseile von je 52 Millimeter Stärke gehalten. An ihren Enden hängen 560 Betongewichte, jedes sieben Tonnen schwer. Sie schaffen einen Gewichtsausgleich, sodass nur vier Elektromotoren mit jeweils 75 PS benötigt werden, den Trog samt Inhalt zu heben.
Jährlich besuchen mehr als hunderttausend Gäste das alte Industriedenkmal. Vom Parkplatz aus führt ein Fußweg nach oben zu den beiden Schiffshebewerken. Jeweils über eine Kanalbrücke sind sie mit dem Oder-Havel-Kanal verbunden. Der Umgang um das alte Hebewerk bietet nicht nur die hautnahe Berührung mit dem Koloss, er gestattet bei gutem Wetter einen weiten Blick ins Oderbruch. Auch die Dimensionen und die moderne Gestalt des neuen Schiffshebewerks lassen sich aus dieser Perspektive gut erleben.
Bereits 2014 sollte das neue Schiffshebewerk Niederfinow Nord in Betrieb genommen werden. Das Bauvorhaben wurde 2002 offiziell der Öffentlichkeit vorgestellt, der Bauauftrag 2008 vergeben und 2009 feierlich der Grundstein gelegt. Dann sollte es aber doch noch bis Oktober 2022 dauern, bis das erste offizielle Schiff den Fahrstuhl auf seiner Fahrt von der Oder nach Berlin durchquerte. Gemessen an dieser Bauzeit, sind die Leistungen der damaligen Ingenieure und der vor etwa 90 Jahren am Bau beteiligten Firmen des alten Hebewerks nicht hoch genug einzuschätzen.
Schiffshebewerk Niederfinow, Hebewerkstraße 70a, 16248 Niederfinow, https://schiffshebewerk-niederfinow.com
Bisher erschiene Episoden können Sie unter folgendem Link lesen: https://blog.oderbruchmuseum.de/category/reise-durch-die-kulturerbe-orte. Weitere Informationen zu den Kulturerbe-Orten finden Sie unter: www.oderbruchmuseum.de/kulturerbe-orte.