Reise durch die Kulturerbe-Orte des Oderbruchs – Episode 6
Zehn Autominuten von Bad Freienwalde entfernt liegt Wriezen. Wieder ist uns Theodor Fontanes Buch „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ ein nützlicher Reiseführer, erlaubt er doch den Vergleich mit längst vergangenen Zeiten. Wriezen, die heimliche Hauptstadt des Oderbruchs, beschreibt Fontane seinerzeit als einen bedeutenden Handelsort. Der Grund hierfür war der enorme Reichtum an Fisch in der noch unregulierten Fluss- und Sumpflandschaft. Die Stadt besaß einen der wichtigsten Fischmärkte der Mark. „In den Jahren 1693, 1701 und 1715 gab es bei Wriezen der Hechte,…, so viele, daß man sie mit Keschern fing und selbst mit Händen greifen konnte. Die Folge davon war, daß in Wriezen und Freienwalde eine eigene Zunft der Hechtreißer existierte. An den Markttagen fanden sich aus den Bruchdörfern hunderte von Kähnen in Wriezen ein und verkauften ihren Vorrat an Fischen und Krebsen an die dort versammelten Händler. Ein bedeutender Handel wurde getrieben und der Fischertrag des Oderbruchs ging bis Böhmen, Bayern, Hamburg, ja die geräucherten Aale bis nach Italien.“
Eine Zäsur in der Stadtentwicklung folgte durch die verheerenden Folgen des Dreißigjährigen Krieges. Mit der Trockenlegung des Oderbruchs, Mitte des 18. Jahrhunderts, verlor auch die Fischerei an Bedeutung und wurde durch die Landwirtschaft abgelöst. Es ging mit der Stadt immer wieder auf und ab, bis im Jahr 1861 der Schiff- und wenig später der Bahnverkehr eingerichtet wurden. Die Bahnverbindung nach Berlin versorgte ab 1898 die Großstadt mit Fisch und Gemüse, wovon Wriezen wirtschaftlich enorm profitierte. Von der einstigen Wirtschaftskraft hat sich derweil nicht viel erhalten. Ganz am östlichen Rand der Republik gelegen, ist Wriezen inzwischen in einen Dornröschenschlaf gefallen.
So erging es wohl auch seinem alten Hafen. Noch bis in die 1960er Jahre war er in Betrieb, erzählt Eckhard Brennecke. Er ist der heutige Eigentümer des ehemaligen Hafen-Geländes an der Wriezener Alten Oder. Wer den kleinen, träge dahinfließenden Fluss sieht, mag kaum glauben, dass dort einst Lastkähne anlegten. „Hier war mal richtig was los, alles wurde umgeschlagen sämtliche Baumaterialien, Steine, Kies und Dünger. Stets und ständig fuhr der Dampfer Paul mit Lastkähnen, erst zum Finowkanal, dann nach Berlin und zurück“, sagt Brennecke. Als kleiner Junge ging er damals seinem Stiefvater, der den Portalkran im Hafen bediente, zur Hand. Alle Schiffe, die anlegten, hatten das Finowmaß, das erste standardisierte Binnenschiffmaß, angepasst an die Schleusen des Finowkanals. Ende der 1960er Jahre wurde das Hafenbecken zugeschüttet. Immerhin war das Gelände weiterhin ein zentraler Umschlagplatz, allerdings wurden nur noch Eisenbahn-Waggons entladen. Die Hafenbahn rangierte die Waggons vom Wriezener Bahnhof hier herüber und weiter bis zum Holzplatz. „Jeder große Betrieb in Wriezen hatte damals einen Gleisanschluss – jetzt ist alles weg, unwiederbringlich“, resümiert Brennecke.
Vom ehemaligen Gebäudebestand des Hafens haben sich, die 1902 errichtete Kalkbrennerei und die Fabrikantenvilla sowie der Hafenspeicher und die Molkerei, erhalten. Die Kalköfen ein eingetragenes Industriedenkmal, waren wichtig für die industrielle Entwicklung des Oderbruchs. Eckhard Brennecke, der Anfang der 1980er Jahre eine Gewerbeimmobile am Hafen kaufte, ersteigerte 2005 bei einer Auktion mehr aus Zufall auch die historischen Kalköfen und die Fabrikantenvilla. Wer Glück hat, dem erzählt der rüstige Rentner bei einem Besuch von seinem spontanen Erwerb der historischen Immobilie und der folgenden abenteuerlichen Sanierung der Kalköfen. Gemeinsam mit dem Verein „Interessengemeinschaft Hafen Wriezen e.V.“ setzte er die Kalköfen soweit instand, dass neben Veranstaltungen dort zukünftig hunderte von historischen Fotos aus der Wriezener Stadtgeschichte, besonders des Hafens, präsentiert werden können. Während die Kalköfen, nach Anmeldung, für Besucher wieder zugänglich sind, liegt die Fabrikantenvilla weiterhin verträumt im Dornröschenschlaf. Eine von Brennecke geplante Nutzung zu Wohnzwecken wird derzeit nicht zugelassen.
Wer sich aus dem Oderbruch kommend Wriezen nähert, dem fällt in der Stadtsilhouette ein alles überragender rechteckiger Turm auf. Es ist der Turm der Marienkirche. Die Ruine dieser Kirche ist der zweite Kulturerbe-Ort der Stadt. Der Kirchenbau geht auf einen Feldsteinbau aus dem 13. Jahrhundert zurück. Er wurde im Verlauf der Jahrhunderte verlegt sowie oft um- und überbaut. An der nach innen gerichteten Fassade des Turms können wir einzelne Bauepochen gut ablesen. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs, beim Sturm auf Berlin, wurden die Pfarrkirche und das Stadtzentrum von Wriezen erheblich zerstört. Mutige Menschen verhinderten während der DDR-Zeit den Abriss der Kirchenruine. Der Wiederaufbau ist mühsam und verlangt der evangelischen Gemeinde und der Stadt viel Kraft ab. Seit mehr als 25 Jahren sammelt ein Förderverein Spenden, um die Kirche wieder aufzubauen. Einige Teile der Ruine wurden bereits so saniert, dass eine Nutzung durch die evangelische Gemeine möglich ist. Die Apsis erhielt vor einigen Jahren ein Dach und die Pläne für die gesamte Überdachung der Langhäuser werden derzeit Realität. In dem unbedachten Kirchenschiff finden unregelmäßig Konzerte statt. Zu bestimmten Anlässen, zum Beispiel zu Stadtfesten, ist es für Besucher möglich den Kirchturm zu erklimmen. Diese Gelegenheit sollte man sich nicht entgehen lassen, denn sie bietet einen weiten Blick über das Oderbruch.
Blick über Wriezen Bekrönungsfeier Marienkirche Bekrönungsfeier auf der Apsis Veranstaltung in der Marienkirche Glockenstuhl
Kulturerbeorte:
Alter Hafen Wriezen, Am Hafen 1, 16269 Wriezen, 033456 2733, www.hafen-wriezen.de
Evangelische Kirche Wriezen, Friedrich-Fröbel Str. 1, 16269 Wriezen
Bisher erschiene Episoden können Sie unter folgendem Link lesen: https://blog.oderbruchmuseum.de/category/kulturerbe.
Weitere Informationen zu den Kulturerbe-Orten finden Sie unter: www.oderbruchmuseum.de/kulturerbe-orte. Die Broschüre „Schau ins Bruch“ führt Sie durch das Oderbruch. Sie ist an touristischen Punkten und im Museum kostenlos erhältlich.