Ein Salomonischer Tempel im Oderbruch?

Das Molkenhaus Bärwinkel, Carl Friedrich Schinkels erste große Arbeit. Alle Fotos: © Michael Anker

Reise durch die Kulturerbe-Orte – Episode 20

In der früheren „Episode 18“ über Neuhardenberg wurde es bereits mit einem Satz erwähnt, nun besuchen wir Carl Friedrich Schinkels vermutliches „Erstlingswerk“. Etwa drei Kilometer vom Schloss Neuhardenberg entfernt, steht das Molkenhaus. Im Quilitzschen Vorwerk Bärwinkel wurde es 1802/03 in Form einer Basilika aus Raseneisenstein errichtet. Die denkwürdige Architektur vereinte verschiedenen Funktionen: Einerseits gibt es ein massives Gewölbe, welches als fensterloser Kühlraum, der Käselagerung diente, andererseits wurde der obere Saal im Mittelschiff wohl auch als „Tempel“ eines Geheimbundes genutzt. „Rittmeisters von Prittwitz, Eigentümer des benachbarten Quilitz (später Neuhardenberg), wollte wohl den Templerorden wiedererstehen lassen und hatte als Bauherr das Programm ändern lassen. Daher kommt es einerseits zu einer christlichen Basilika und auf der anderen Seite zu seiner Auffassung des salomonischen Tempels nach dem Hamburger Modell“, sagt der Molkenhaus-Eigentümer und Schinkel-Kenner Frank Augustin. Auch das Baumaterial des Molkenhauses ist ungewöhnlich. Es wurde mit dem, im Oderbruch verfügbaren, Sediment Raseneisenstein gebaut. In Verbindung mit Luft oxidiert das Eisen und verleiht dem Stein sowie dem Gebäude seine rotbraune Farbe.  

Mit den Reformen und der Weiterentwicklung der Landwirtschaft (Episode 7), wurden größere Gebäude gebraucht. Von Prittwitz ließ aus diesem Grund durch Schinkels Lehrer David Gilly in Bärwinkel ein Vorwerk zur Produktion von Butter und Käse entwerfen. Die Anlage erfolgte nicht in der jahrhundertelang gültigen Siedlungsform am Anger oder an der Straße durch die Errichtung von drei- oder vierseitig umbauten Höfen, sondern isoliert in einer landschaftsgärtnerischen Kunstform als „Ornamented Farm“. Sie verbindet landwirtschaftlich genutzte Bereiche eines Anwesens ästhetisch mit nur dekorativ genutzten Gartenbereichen zu einer Einheit. Neben einem Stall für 110 Kühe wurde auch eine große Scheune errichtet. Beide Gebäude sind etwa 80 Meter lang. Erst danach wurde das Molkenhaus gebaut, das gebraucht wurde, um die Milch zu Butter und Magerkäse verarbeiten zu können. Das Haus beherbergte im Erdgeschoss auch die Wohnung des Verwalters. Das Molkenhaus gehört zum Typus des „folly“ im Landschaftsgarten. Er konnte mit, in der Regel verkleinerten, Kopien von Pyramiden, Tempelruinen, Pantheons, Venus-Tempeln und anderen Erinnerungen an die Antike ausgestattet werden, so auch mit einer Rekonstruktion des Salomonischen Tempels. Und es gab eine weitere Funktion für das Gebäude: „Von Prittwitz, war wohl ein sehr Konservativer, der in Opposition zum König stand. Er hatte mit seinen Gutsnachbarn von Alvensleben, von der Marwitz und anderen Adligen vor, den Templerorden wieder entstehen zu lassen. Sie wollten einen gegenreformerischen Geheimbund gründen und sie wollten nichts wissen von der Beendigung der Leibeigenschaft der Bauern. Preußenkönig Friedrich Wilhelm III. hatte auf seinen Staatsdomänen bereits die Leibeigenschaft aufgehoben. Der König war also fortschrittlicher als der altständische Adel hier. Die Bauern haben mit Unterstützung des Pfarrers ihre Frondienste boykottiert und zwangen von Prittwitz zur Aufgabe“, so Frank Augustin.

Architekt Frank Augustin ist „halber“ Eigentümer des Molkenhauses. Zur Bodenreform 1948 wurde das Grundstück geteilt, sodass die Grundstücksgrenze nun mitten durch das Haus verlief und es teilte. Sonntags führt er Gäste durch seinen Teil des architektonischen Kleinods. Gemeinsam mit den Förderverein Bärwinkel e.V. kümmert sich Frank Augustin um den Erhalt und die Rekonstruktion des ehemaligen Verwalter- und Molkenhauses, dem ersten architektonischen Hauptwerk des damals erst zwanzigjährigen Schinkel. Seit 1990 seien viele bestandssichernde Maßnahmen durchgeführt worden. Als Frank Augustin das Gebäude erstmals besichtigte, wuchsen bereits Birken aus dem Dach. Zu DDR-Zeiten hätte sich keiner darum gekümmert. Es stand nur der salomonische Tempel, die Front, unter Denkmalschutz. Alles andere war geputzt und wurde daher wahrscheinlich nicht richtig erkannt. Die Verantwortlichen des Denkmalschutzes in der DDR hätten sich nur um Neuhardenberg gekümmert, so der Schinkel-Kenner. Im Zuge der Sicherungen seien die Verlängerung von Mittel- und südlichem Seitenschiff, sowie die Aufstockung desselben abgetragen worden. Dadurch sei der Schinkel-Bau wieder erkennbar und lesbar. 

„Das Molkenhaus in Bärwinkel ist – kunstgeschichtlich gesprochen – der erste neoromanische Bau auf dem europäischen Festland“, sagt Frank Augustin. „Die Inhalte dieser Architektenarbeit, wie der Rundbogenstil, der unverputzte Rohbau, die Gleichheit des Innen und Außen in der Gliederung der Außenwände des östlichen Querbaus, die ingenieurtechnische und unkonventionelle Art der Dachwerkskonstruktion, die Rationalisierung des Dekors oder die Unterwerfung der Abmessungen durch artifizielle Proportionierung verweisen schon auf spätere baugeschichtlich bedeutendste Werke Schinkels. Schinkels Historismus enthält bereits in dieser Arbeit einen Kern von Sachlichkeit.“ So sei das Molkenhaus das erste und das Gebäude für die Bauakademie in Berlin das letzte der großen Werke des Architekten.

Schinkels Molkenhaus auf Bärwinkel, 15320 Neuhardenberg OT Bärwinkel
http://www.foerderverein-baerwinkel.de
Geöffnet: April bis Oktober, sonntags 11:00 bis 15:00 Uhr, Telefon: 0171 4121206.

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